Schlimmes Inferno drohte

Die Muna war vor 75 Jahren ein Hotspot tödlicher Gefahr

SCHIERLING, 20.04.2020. Schierling und Umgebung waren vor 75 Jahren, Ende April 1945, ein Hotspot tödlicher Gefahr. Das Leben von vielen tausend Menschen hing am seidenen Faden. Denn in der nahegelegenen „Muna“ waren 6000 Tonnen Giftkampfstoffe gelagert, es fielen Bomben der Amerikaner und ein linientreuer Depotkommandant hatte den infernalen Plan, das Munitionsdepot eigenhändig in die Luft zu sprengen. Der Raum Regensburg-Kelheim-Landshut-Straubing wäre in eine Todeszone verwandelt worden.

Archivfoto: Tor zur Muna mit Warnschild
Nach der Übernahme der „Luftmunitionsanstalt Schierling“ durch die Amerikaner am 29. April 1945 machten diese schon am Eingang deutlich, dass man sich von diesem Giftgasbereich fernhalten muss

Als die absolute Katastrophe kaum abwendbar schien, wandten sich die Menschen an den lieben Gott. Sie machten ein Gelübde. Die Menschen in Schierling hatten Angst. Denn es war ihnen nicht verborgen geblieben, dass bis Ende 1944 über 60 Güterzüge tausende Tonnen neuer Munition in die 1937 in den Wald gebaute „Luftmunitionsanstalt“ brachten. Bald machte sich in Schierling das Gerücht breit, es würde sich um Gas handeln, um Gasbomben, die vorwiegend aus Depots in Polen und Oberschlesien kamen.

Archivfoto: Bekanntmachung vor dem Eingang zum Hauptgebäude
Der an der Westfront schwer verwundete Ludwig Häring (stehend auf den unteren Stufen) war als Übersetzer zwischen den Amerikanern und den deutschen Arbeitern eingesetzt

Sprengung angedroht

Die Angst der Schierlinger trieb am 20. April 1945 einem Höhepunkt zu, als bei einer Luftschutzversammlung von einer bevorstehenden Sprengung des Depots die Rede war. Tatsächlich schien der Depotkommandant Major Richter fest entschlossen, das Depot nicht den Alliierten zu übergeben. Er hatte angesichts des nahenden Endes einen Gürtel aus scharfen 36-Zentner-Bomben bis zum Fluss Große Laber legen lassen. Die entscheidende Sekunde zum Auslösen eines Infernos hatte er sich selbst vorbehalten. „Kein Feind wird jemals das Munitionslager betreten, denn auf den Knopf drücke ich!“, hörte die damalige Sekretärin Hildegard Weigl aus seinem Mund. Das berichtete Weigl im Jahre 1988 dem BR-Journalist Ulrich Böken bei dessen Recherche. Als wesentliche Zeitzeugen kommen auf diesem Audio-Dokument auch der spätere Bürgermeister Josef Wallner und Ludwig Häring zu Wort, der wegen seiner Englischkenntnisse als Dolmetscher zwischen den Amerikanern und Deutschen fungierte.

Friedliche Übergabe

Ob Richter die Muna am 29. April 1945 um 10 Uhr tatsächlich selbst kampflos an US-Soldaten übergeben hat, ist zweifelhaft. Einerseits wird dies so in der Literatur dargestellt, doch Richters Sekretärin Hilde Weigl erinnerte sich, dass sich Richter aus dem Staub gemacht hatte und sein Aufenthaltsort zu dieser Zeit nicht bekannt gewesen war.

Flugzeuge griffen Schierling an

Der 23. April 1945 war einer der furchterregenden Tage für Schierling. Ludwig Häring war nach einer schweren Verwundung an der Westfront von den Engländern ausgetauscht worden und deshalb schon daheim. Er berichtet: „Bei einem Überflug zweier feindlicher Jäger schoss Muna-Flak auf die Flugzeuge. Eine halbe Stunde später griffen acht feindliche Jäger zum ersten Mal unser Dorf Schierling an. Eine Waggon-Flak am Bahnhof und der Stadel von Meierhofer gingen in Flammen auf. Am 25. April früh, während des Früh-Bittgottesdienstes zum Markustag, erster Angriff auf die Muna, 10 Uhr zweiter Angriff, vier Uhr nachmittags dritter Angriff.“ Josef Wallner war zu der Zeit am Feld und Hilde Weigl war froh, dass aufgrund dieser Aktionen nur „ein Ochs kaputt“ war.

Archivfoto: Stapel von im freien gelagerter konventioneller Munition
Die konventionelle Munition war im April 1945 weitgehend im Freien gelagert worden, nachdem bis Ende 1944 über 60 Güterzüge voll mit Giftgasmunition antransportiert worden waren, die vorwiegend in den Bunkern eingelagert wurde

Schierling durfte nicht Kriegsgebiet werden

Häring beobachtete die Aktivitäten von Bürgermeister und honorigen Bürger, sowie dem Pfarrer bei Beratungen, denn sein Heimathaus liegt gegenüber dem Rathaus. Sie waren sich einig, dass alles getan werden müsse, damit Schierling kein Kriegsgebiet werden würde. Die Schierlinger hatten nämlich schon mitbekommen, was mit Berching und Neumarkt geschehen war, nachdem Truppen der zurückweichenden Front auf Flugzeuge der Amerikaner geschossen hatten. „Die Amerikaner schickten mehrere Bomber, die Orte wurde dem Erdboden gleich gemacht, hunderte Menschen starben“, ergänzte Böken. Josef Wallner hatte nur einen solchen „Deppen“ ausgemacht, der in Schierling auf Fronturlaub war und mit seinem Karabiner auf ein Flugzeug geschossen hat. Die Schierlinger wussten auch, dass ihnen ein sehr schlimmes Inferno bevorstünde, sollte die Muna bombardiert werden.

Beten für die Rettung

Die Kirche war in diesen Tagen für viele ein Zufluchtsort, so Häring. Schon beim Gottesdienst am 2. April 1945 hatte Pfarrer Franz Xaver Laubmeier den Gedanken für ein Gelübde eingebracht. Vom 3. bis 10. April seien im Pfarrhof dafür verschiedene Vorschläge eingegangen, berichtet Häring. Die Sühne- und Anbetungsstunden am 15. April seien sehr stark besucht gewesen. Die Angst verstärkte sich, als starke deutsche Truppenbewegungen vom 16. bis 24. April zwischen Ingolstadt und Regensburg den Ort Schierling durchquerten. Es habe Masseneinquartierungen gegeben. Bei der besagten Luftschutzversammlung war empfohlen worden, die Wohnungen und Ställe gassicher zu machen. Bei den Härings in der Bäckerei gab es Mehl, und deshalb machte man daraus den „Mehl-Papp“ als Dichtungsmasse. „Lebensmittel sowie Kleider, Wäsche sollten unter die Erde vergraben und sichergestellt werden“, sagte Häring ins Mikrofon des Journalisten.

Archivfoto: Bunker mit Stapeln von chemischen Raketen
In diesem Bunker waren nach den Aufzeichnungen der Amerikaner „chemische Raketen, Green King One, gefüllt mit Stickstoff-Senf“ gelagert

Weißes Sperrgebiet

Am 27. April 1945 wurde die Rettung Schierlings eingeleitet. Der Depotkommandant verweigerte sich dem Befehl des Divisionsgefechtsstandes, die Muna mit der weißen Fahne zu übergeben. So nahm Oberleutnant Keller die Übergabe in die Hand, brach zu einer dramatischen Reise auf und traf sich schließlich am 27. April 1945 mit den Amerikanern in Sarching, teilte die Giftgasbestände mit und sprach die Kennzeichnung einer Sperrzone um die Muna mit weißen Flaggen ab. Gleichzeitig hatte sich wohl nach den neuesten Forschungsergebnissen eine hochranginge Offiziersdelegation aus München eingeschaltet und die Übergabe mit eingefädelt. Die weiße Zone umfasste das Gebiet von Schierling, Paring, Langquaid, Herrngiersdorf, Wahlsdorf und Mannsdorf.

Gelübde zum Dank und zur Erinnerung

Um 6.30 Uhr war alles erledigt. Schierling und die Umgebung konnten aufatmen. Glück und Dankbarkeit beherrschten die Gefühle der Schierlinger, denn „so etwas kommt nur alle tausend Jahre vor“, wie Josef Wallner den Diskussionsstand von 1945 und 1946 beschrieb. Gott hat mitgeholfen, dass das Giftgasinferno im April 1945 verhindert wurde, war sich Pfarrer Hans Bock im Jahre 1995 sicher, als das Gelübde erstmals verlängert wurde. Seitdem gibt es einen Gedenkstein, die Idee eines „Gott-sei-Dank-Platzes“ aber verfolgte der Marktgemeinderat nicht mehr weiter.

Radiosendung

Die 55-minütige Sendung von Ulrich Böken „Das Wunder von Schierling oder: wir werden 50 Jahre beten“ aus dem Jahre 1988 kann als Zeitdokument jetzt auf unserer Homepage heruntergeladen bzw. angehört werden: Das Wunder von Schierling - Radiosendung vom 06.11.1988 (MP3-Datei, ca. 50 MB). Es gibt sie auch auf einem USB-Stick, der nach Wiederöffnung des Rathauses im Bürgerbüro erhältlich ist.

Forschung

Zum Kriegsende im Raum Regensburg, zu dem auch Schierling gehört, hatten Rainer Ehm und Roman Smolorz im Auftrag der Stadt Regensburg weiter geforscht und die Ergebnisse 2019 in einem im Verlag Friedrich Pustet erschienenen Buch „April 1945 – Das Kriegsende im Raum Regensburg“ vorgestellt.

Gelübde

Das Gelübde zur Errettung aus Kriegsnot wurde 1995 von Marktgemeinderat und Pfarrgemeinderat um 25 Jahre verlängert. Über die Ausgestaltung einer Fortführung über 2020 hinaus werden Gespräche geführt.

Chronik

Das Depot wurde ab 1956 von der Bundeswehr wieder genutzt. Im Laufe der Jahre entstand eine umfangreiche Chronik, begonnen im Jahre 1987 vom damaligen Hauptfeldwebel Christian Marbach. Hauptfeldwebel Mathias Voigt hat sie im Jahre 2006 zum Tag der offenen Tür ergänzt und später auch fortgeführt. Mit seiner Zustimmung ist Band 1 auszugsweise auf unserer Homepage verfügbar: Chronik der Muna Schierling. Christian Marbach, 1987 / Mathias Vogt, 2006 (PDF-Datei, ca. 27 MB). Die Chronik enthält insbesondere Informationen und Fotos vom Aufbau des Depots in den Jahren 1937/38, sowie von der Übernahme des Depots durch die Amerikaner mit detaillierten Berichten zur angetroffenen Munition, deren Abtransport bzw. Beseitigung.

 
Repro der Archivfotos: Fritz Wallner