Die arme, harte, unsägliche Zeit

Schierling zur „Gennßhenkher“-Zeit beim „Schwedischen Krieg“

SCHIERLING, 02.08.2010. Wenn bei den Schierlinger Männern der Bart immer üppiger wird, dann ist das „Genßhenkher-Fest“ nicht mehr weit. Alle vier Jahre tauchen sie dann ein in die Geschichte. Und tragen zur notwendigen Auseinandersetzung mit dieser schweren Zeit bei. Dabei geht es um Krieg. Wie so oft in der Menschheitsgeschichte. Die Zeit war für die Bevölkerung schwer und oft grausam. Beim Schierlinger „Gennßhenkher-Fest“ handelt es sich um gelebte Heimatgeschichte, die von der Verteidigungsbereitschaft bis zur Dankbarkeit für verhindertes Leid reicht. Dass sich dafür rund 500 Schierlinger Bürger kleiden wie vor 377 Jahren und rund 100 davon auch im einfachen Zelten entlang der Großen Laber übernachten, das verleiht Authentizität. Das beweist, wie Bürger und Gemeinwesen eine Einheit werden können.

Gefechtsdarstellung auf der Viehmarktwiese
Im Ortskern Schierling, auf der „Viehmarktwiese“, stellten die „Gennßhenkher“ mit vielen befreundeten Gruppen ein Gefecht aus dem Dreißigjährigen Krieg dar 
Vater mit Baby in historischen Kostümen
Schon die Kleinsten sind historisch eingekleidet, wie insgesamt annähernd 500 Schierlinger

Wer möchte schon wirklich Zeitgenosse gewesen sein im Jahre 1633? Wohl niemand. Denn damals war Europa gefangen vom Dreißigjährigen Krieg. In diesen Jahren speziell vom „Schwedischen Krieg“. Die Menschen erlebten genau das Gegenteil von einer beschaulichen „guten alten Zeit“. Armut, politische Wirrnisse, Machtkämpfe und Angst waren die ständigen Begleiter. Und einige Jahre vorher, nämlich 1627, hatte Schierling bereits die Pest heimgesucht.

Wachsam sein, den eigenen Hausstand zusammenhalten, für das Gemeinwesen eintreten und Verteidigungsbereitschaft zeigen. Um das ging es. Auch die Schierlinger trugen trotz bitterer Not zur Verteidigung von Hab und Gut bei. Das zeigten die „Gennßhenkher“ am Wochenende bei ihrem Fest. Viele befreundete Gruppen aus ganz Europa, ausschließlich in originaler Kleidung und mit Originalutensilien, unterstützten sie dabei. Und über 5000 Besucher kamen, staunten und freuten sich.

Koch Klaus Kindler serviert den Ganserlbraten
Nach der Visitation durch den Hauptmann aus Kelheim gab es für die „Herren Sexer“ – die Gemeindeverantwortlichen – Ganserlbraten. V.l. Ludwig Völkl und Koch Klaus Kindler, die Bürgermeister Christian Kiendl bedienen

Der verspottete Schlossherr

Dass gerade in Schierling diese Zeit so lebendig geblieben ist, hat mit einer Rand-Begebenheit zu tun. Doch diese sollte über Jahrhunderte hinweg das Verhältnis zu den Nachbarorten bestimmen. Und so war es: Bis 1631 waren die damals rund 1500 Schierlinger Bürger vom Krieg verschont geblieben. Dann aber kam es ganz dick. Im Frühjahr 1632 hatte eine „Plünderung an Pferden, Rindvieh und Fahrniß stattgefunden“, berichtet der damalige Pfarrer Reiffenstuhl. 1633 sei die „die ganze Pfarr zu Dorf und zu Feld verwüstet worden“, schreibt der weiter. Er war sogar von Haus und Hof gejagt worden. Erst ein Jahr später konnte er seine verwüstete Wohnung wieder beziehen.

Wen wundert es da, dass ungeahnte Kreativität frei gesetzt wurde, um wenigstens einige Brösel vor den Schweden zu retten. Der Schlossherr griff – wie die Sage bekundet – zum vielleicht letzten Mittel, um seine blütenweißen – leider verräterisch schnatternden - Gänse zu retten. Er schlachtete das ebenso kostbare wie köstliche Federvieh und hängte es an der Rückseite des Schlosses auf. Doch das Versteck war zu windig für die hungrigen Schweden. Der Spott für den Schlossherrn übertrug sich – wenn auch völlig unverdient - auf die Schierlinger. „Ihr Gennßhenkher!“ – Gänshänger – lautete das Schimpfwort knapp 350 Jahre lang. Ihr hängt eure Gänse auf und seid zu dumm, um ein richtiges Versteck zu finden. Unbedeutende Dörfler eben. Meistens nahmen die geschundenen Seelen Schimpf und Spott klaglos hin. Aber nicht immer. So weiß der Chronist, dass Adam Mueßbacher im Jahre 1670 eine saftige Strafe bezahlen musste, weil er die ganze Gemeinde Schierling als „Gennßhenkher“ verscholten hat.

Feuerspucker in Aktion
Eine Gruppe von Feuerspuckern aus dem eigenen Nachwuchs der „Gennßhenkher“ unterhielt am Samstagabend die vielen Gäste 

Geschichte ist Kulturgut

Der Verein für Heimatpflege mit Ortsheimatpfleger Schorsch Schindlbeck kümmert sich seit 30 Jahren in besonderer Weise um die Bewahrung der Begebenheit als historisches Kulturgut. Beim „Gennßhenkher-Fest“ wird gezeigt, wie es den Menschen ging, als sich der Hauptmann aus Kelheim, zu dem die Schierlinger Schützen gehörten, zur Visitation angesagt hatte. Dieser Besuch rief auch die Gemeindeverantwortlichen – die Sexer – auf den Plan. Die Bevölkerung war auf den Beinen - damals wie heute. Und weil alles gut geklappt hat, wurde gefeiert. Damals vielleicht nicht so kräftig wie heute. Doch wer will es den Nachfahren verdenken, dass sie ihren Vorfahren und dem Herrgott dankbar sind, trotz aller Schwierigkeiten noch einigermaßen gut weg gekommen zu sein? Schindlbeck erinnert gerne daran, dass während des Dreißigjährigen Krieges kein Schierlinger als Soldat zu Schaden gekommen ist. Sie hatten zwar in die nördliche Oberpfalz müssen, kamen aber wieder gut zurück.

Tanz der Marketenderinnen
Die Marketenderinnen vertrieben sich die Zeit auch mit Tanz 

Rund um die Schierlinger „Gennßhenkher“

Georg Schindlbeck
Ortsheimatpfleger Schorsch Schindlbeck, der glückliche Initiator und Organisator

Brunnen. Im Jahre 1980 hat der Markt Schierling eine entscheidende Wende eingeleitet. Aus dem Schimpf- und Spottnamen wurde eine Marke. Sichtbarer Ausdruck ist der „Gänshänger-Brunnen“ des Münchner Künstlers Klaus Vrieslander in der Ortsmitte, direkt beim Bräustüberl und dessen Biergarten.

Ortsheimatpfleger. Georg Schindlbeck ist ein Perfektionist. Aufgrund seines außerordentlichen Engagements für die Heimatgeschichte hat ihm die Gemeinde schon vor Jahren die Bürgermedaille verliehen.

Volk. Allein zu diesem Fest haben Elisabeth Schindlbeck und viele freiwillige Helfer wieder rund 70 neue Originalkostüme genäht. Damit sind knapp 500 Schierlinger als Musketiere, Pikeniere, Marketenderinnen und einfaches Volk ausgestattet. Darunter auch viele Kinder und Jugendliche, was die Verantwortlichen besonders froh macht, weil damit die Tradition bewahrt werden kann.

Fest. Das Fest wird nur alle vier Jahre gefeiert. Und zwar auf der „Viehmarktwiese“ mitten im Ortskern. Bürgermeister Christian Kiendl ist stolz auf seine Bürger, die ganz im Sinne von „Aktive Stadt- und Ortsteilzentren“ in jeder Hinsicht Leben in den Ortskern bringen.

 
Text und Fotos: Fritz Wallner