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Die älteste Volksschule Deutschlands - in Tittling oder in Schierling?

Fakten und Daten, 1992 zusammengetragen von Ortsheimatpfleger Georg Schindlbeck - aktualisiert 2011

PfeilFotostrecke: Das älteste Schulhaus vor und nach der Renovierung

SCHIERLING, 27.12.2011. Wer jemals einen Ausflug in die Passauer Gegend macht, der kann in Tittling im Museumsdorf ein altes Schulhaus bewundern. Man ist recht stolz auf dieses einmalige Objekt und bezeichnet es als die älteste Volksschule Deutschlands.

Ansicht von Westen vor der Sanierung Ansicht von Westen nach der Sanierung
Das vielleicht ältestes Schulhaus Deutschlands – vor und nach der grundlegenden Sanierung im Rahmen des Bund-Länder-Städtebauförderungsprogramms „Aktive Stadt- und Ortsteilzentren“

Ursprünglich stand es in Simbach bei Landau, wo es in den Jahren 1667 bis 1670 erbaut worden ist. Es diente bis 1780, also gut einhundert Jahre lang, als Schulhaus, Rathaus, Gefängnis und Wohnung des Schulmeisters, der anscheinend immer auch als Marktschreiber Dienst tat. Der Bau fällt in die Zeit nach dem Dreißigjährigen Krieg, der seit 1633 in Bayern furchtbar gewütet hatte.

Die Folgen dieses Krieges waren für Simbach nicht leichter zu ertragen als für viele andere Ortschaften auch. 1634 rafft die Pest den größten Teil der Simbacher hin. Der Markt blutet aus durch wiederholte Truppendurchzüge und Einquartierungen und hat 1649 noch mal die Pest zu erleiden. 1650 heißt es in einem Umrittprotokoll: "Vierzig Häuser liegen noch öd." Nach dem Krieg setzen sich diese Heimsuchungen fort in einem Brand, der nur Rathaus und Tanzhaus stehen lässt. Die fleißigen Bürger nutzen eine zehnjährige Steuerbefreiung und bauen in diesem Zeitraum den Ort neu auf. 1667 ist der Baubeginn des Schulhauses, 1670 kann es seiner Bestimmung zugeführt werden. Unter Berücksichtigung der vorausgegangenen Katastrophen kann man hier von einer hervorragenden Leistung der Simbacher sprechen!

Nicht geringer ist die in unserer schnelllebigen Zeit durch Georg Höltl erbrachte Leistung einzuschätzen! Er ist es, der in den Jahren 1977 und 1978 das Simbacher Schulhaus umsetzt in sein Bauerndorfmuseum in Tittling. Er sichert dadurch, wie bei vielen anderen Baudenkmälern auch, die Erhaltung für zukünftige Generationen und macht es der Öffentlichkeit zugänglich.

„Ruft unseren Widerspruch hervor.“

Wir Schierlinger erkennen die von den Simbachern und von Georg Höltl erbrachte Leistung neidlos an. Jedoch die Behauptung, es handle sich beim besagten Schulhaus um die älteste Volksschule Deutschlands, ruft unseren Widerspruch hervor. Diesen Anspruch könnten nämlich problemlos wir Schierlinger erheben, wenn sich mit Sicherheit ausschließen ließe, dass nicht irgendwo in Deutschland ein noch älteres Schulhaus die Zeiten überdauert hat. Mit Sicherheit können wir aber behaupten, eine ältere Volksschule als die Tittlinger zu besitzen!

Im Jahre 1645 berichtet der Pfarrer Johann Reiffenstuel, der von 1616 bis 1672 (56 Jahre!) in Schierling wirkt: "In Schierling ist ein von mir neu auferbautes Schulhaus, darinnen die liebe Jugend jederzeit mit größtem Fleiß soll unterrichtet werden." Damit ist die Erbauungszeit unserer Schule nicht aufs Jahr genau festgestellt, liegt jedoch deutlich vor der des Simbacher Schulhauses!

Die Verhältnisse zur Erbauungszeit unserer Schule waren nicht minder schwierig als in Simbach, war der Große Krieg doch 1633 in voller Härte über Schierling hereingebrochen. 1627 wütete die Pest über einen Zeitraum von 19 Wochen und kehrte 1634 noch einmal zurück. Daran erinnert noch heute ein Bildstock, eine Kreuzigungsgroppe darstellend und zu sehen am Aufgang der Kirche. Die Rückseite erzählt uns: "Diese Marter hat machen lassen Brottmaier, Wirt und Gastgeber zu Schierling". Unzählige Einquartierungen, Stellung von Heerwägen und Sonderabgaben belasteten die Schierlinger sehr. Dazu kamen zahlreiche Plünderungen durch feindliche, aber auch eigene Truppen. Bei einer solchen Gelegenheit bekamen die Schierlinger, der mündlichen Überlieferung nach, ihren Namen "Gennßhenkher" - aber das ist eine andere Geschichte. 1642 berichtet Pfarrer Reiffenstuel an die Äbtissin in Niedermünster unter anderem: "Im Frühjahr 1632 hatte eine Plünderung an Pferden, Rindvieh und Farniß stattgefunden. Fünfmal hatte ich unterschiedliche Ausplünderungen erlitten. 1633 ist die Pfarr zu Dorf und zu Feld verwüstet worden...." So und ähnlich liest man in den amtlichen Berichten jener Zeit Jahr für Jahr. Die Natur tat ein Übriges und vernichtete wiederholt durch Hagelschläge und Mäuseplage die dürftige Ernte.

Nur in Schierling gab es eine Schule

Trotz allen Übels war für die Schierlinger eine gut funktionierende Schule anscheinend von großer Wichtigkeit. Der Kelheimer Rentmeister schreibt 1630 m seinem Umrittsprotokoll noch von mit Schulmeistern gut besetzten Schulen im ganzen Landgerichtsbereich. Zehn Jahre später klingt es nicht mehr so gut: "So verrichtet man auch in der Statt Khelhamb die Schuell, auf dem Land aber hats bisher armuth halber nie geschechen khünden, außer Schierling, allda sich ein Schuell befündet." Dieser bemerkenswerte Umstand ist wohl zum größten Teil das Verdienst des Pfarrers Reiffenstuel. Er sorgte für den Unterhalt des Schulmeisters und hatte auch sonst großen Anteil an der Bewältigung der schlimmen Kriegsfolgen durch seine Pfarrkinder. Ihm gebührt also nicht nur als Erbauer des Schulhauses Dank!

Dieses Schulhaus ist den heutigen Schierlingern wohlbekannt. Der Ort an dem es steht, heißt "Hundsmarkt". Das Schulhaus lehnt gegenüber vom Mundigl-Haus (das Haus mit dem Storchennest) an der Kirchenmauer, flankiert von der Steintreppe zum hinteren Kircheneingang hinauf. Gemauert ist es in drei Stockwerken. Das Erdgeschoß diente als Stadel und Holzlege, vielleicht auch als Stall. Die oberen beiden Stockwerke bargen die Schulräume und die Wohnung des Schulmeisters, der gleichzeitig den Mesnerdienst versah. Alle drei Stockwerke können, durch die besondere Lage an der Kirchenmauer bedingt, von außen her betreten werden.

Wiederum ist es das Verdienst von Pfarrer Reiffenstuel, mit diesem Bau seiner Zeit vorausschauend Verhältnisse geschaffen zu haben, die noch im 19. Jahrhundert bei weitem nicht überall erreicht waren. Berichte, wie der von 1823 über die Schule in Obertraubling, sind nicht selten, ja eher die Regel. Dort ist das Schulhaus "nichts als ein altes, von Holz gezimmertes und mit Legschindeln gedecktes Söldnerhaus mit angebautem Stall und Stadel; das sogenannte Schulzimmer ist nur 5 Fuß und 3 Zoll hoch (ca. 1,6 m!)... dass die 82 schulpflichtigen Kinder nicht einmal bequem stehen, schwieriger sitzen, noch weniger schreiben können..." In Moosham muss der Schulmeister mit Weib und Schülern bei anhaltendem Regenwetter in einem anderen Haus Zuflucht suchen. Die Größe der Schulstube ist etwa 5,1 mal 3,9 Meter. Sie hat 70 Schulkindern und der Familie des Schulmeisters Platz zu geben und es wird darin auch "gekocht und alles mögliche getrieben."

Schierling an der „Ochsenstraße“

Die Schierlinger bleiben dank Pfarrer Reiffenstuel von solchen Missständen verschont. Sie haben es aber auch sonst leichter als andere. Schierling liegt am Laberübergang der uralten Handelsverbindung mit Namen "Ochsenstraße", auf der seit dem Mittelalter pro Jahr Tausende von Ochsen aus dem Ungarischen in die deutschen Lande zur Versorgung vor allem der größeren Städte getrieben wurden. Salz- und Weintransporte in großer Zahl fanden hier statt. In Schierling musste von jedem Transport, der durch das Dorf verbracht wurde, Zoll eingetrieben werden für jedes Stück Vieh, jede Scheibe Salz, jedes Fass Wein. Die Lage an dieser bedeutenden Handelsstraße brachte im Laufe der Zeit einen gewissen Wohlstand mit sich, der sich nicht nur in der überdurchschnittlich hohen Anzahl an gemauerten Häusern ausdrückte. Schierling war im Landgericht Kelheim, zu dessen Bereich es bis 1804 gehörte, eine Art Unterzentrum. Der Landrichter hielt hier während seiner Umritte ein paar Mal im Jahr Gericht, unterstützt vom Schierlinger Amtmann mit seinen Gehilfen und dem Gemeindeschreiber. Das Richterhaus befand sich in der Nähe der Tafernwirtschaft auf der Heckh, dem westlichen Teil des heutigen Rathausplatzes. Hier wurde im Januar 1670 auch der Fall des Kramers Adam Mueßbacher verhandelt, der "die ganze Gemain allhier als Gennßhenkher verscholten" hatte. Auf der Heck absolvierten die Schierlinger Schützen des elheimer Landfähnleins zusammen mit den Gemeindeoberen ihr monatlich vorgeschriebenes Übungsschießen. Der bayerische Landesherr hatte um 1600 verfügt, dass jedes Landgericht zur Landesdefension mit der Aufstellung eines Fähnleins Fußsoldaten (300 bis 500 Mann) beizutragen hätte. In Schierling wurde eine Schießstätte errichtet, eine der Kelheimer Fahnen und damit ein Trommler, möglicherweise auch ein Pfeiffer, waren hier stationiert. Dies war nur möglich durch die besondere Bedeutung Schierlings in der damaligen politischen Landschaft.

Obwohl ohne Marktrecht war Schierling „Markt“

Die Errichtung eines Schulhauses war bei dieser Bedeutung natürlich unerlässlich, wobei letztere manchmal etwas merkwürdige Blüten trieb: Obwohl Schierling keine Marktrechte besaß, wurde es in amtlichen Schreiben als Markt bezeichnet und als solcher besteuert! Diese Tatsache wurde auch immer wieder als Argument während der jahrhundertlangen Bemühungen um die Marktrechte benützt. Sie hatten aber erst sehr spät Erfolg - der erste Viehmarkt konnte endlich im Jahre 1837 abgehalten werden.

Zu dieser Zeit stellten die Schierlinger Überlegungen über einen Schulhausneubau an, der auch bald darauf in Angriff genommen werden konnte. Am 12. Oktober 1841 konnte der Bau seiner Bestimmung übergeben werden; das alte viel zu klein gewordene Schulhaus hatte nach beinahe 200 Jahren ausgedient. Es hat somit etwa die doppelte Dienstzeit als Schule auf dem Buckel wie sein Simbacher Gegenstück! Das Gebäude wurde im gleichen Jahr an Peter Scheudl aus Tiefenbach verkauft und befand sich mehr als eineinhalb Jahrhunderte in Privatbesitz. Der letzte Eigentümer, Sigmund Huber, stellte den Antrag auf Aufnahme in die staatliche Denkmalsliste. Er war immer auf die Instandhaltung des Hauses bedacht, sodass es sich, über den zu frühen Tod Hubers hinaus, in verhältnismäßig gutem baulichem Zustand befand!

Am 29. Januar 1998 hat die Gemeinde Schierling, den Argumenten des Ortsheimatpflegers zugänglich, das Gebäude erworben. Kurz darauf wurde es durch Mitglieder des Vereins für Heimatpflege für die zu erwartenden Untersuchungen besenrein gemacht. Nach längerer "Ruhezeit" wurde im Sommer 2005 das Gebäude vermessen und statisch untersucht. Zur Jahreswende 2007/2008 wurde ein Gebäudebefund erstellt, um die dem Denkmalschutz entsprechenden Restaurierungsmaßnahmen vornehmen zu können. Im Frühjahr des Jahres 2011 begannen Sanierung und teilweiser Umbau des Hauses, welche im Spätherbst abgeschlossen waren. Die Übergabe der "Alten Schule" an die Öffentlichkeit erfolgt im Frühjahr 2012. Das alle vier Jahre durchgeführte "Gennßhenkherfest", das die Ortsgeschichte des 30-jährigen Krieges und damit die Entstehungsgeschichte des Namens "Gennßhenkher" zum Thema hat, steht in zeitlichem Zusammenhang mit der Erbauungszeit des Schulhauses. Dessen Räume können nun neben verschiedensten Veranstaltungen auch der Darstellung der Ortsgeschichte, vielleicht besonders der des 17. Jahrhunderts, dienen.

Dank der Offenheit von Bürgermeister und Gemeinderat für die Argumente des Ortsheimatpflegers und geschichtsbewußter Bürger entstand aus einem unscheinbaren Altbau ein heimatgeschichtliches Kleinod!

Quellen

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Fotostrecke:
Das älteste Schulhaus Deutschlands vor und nach der Renovierung

Besichtigung 2000
Besichtigung im Jahr 2000
 
Ortsbesichtigung im Jahr 2008
Ortsbesichtigung im Jahr 2008
  
Foto eines Busses, der sich zwischen parkenden Autos hindurchzwängt
Ansicht von Osten vor der Renovierung...
  
Foto eines Busses, der sich zwischen parkenden Autos hindurchzwängt
...und nach der Renovierung
   
Foto eines Busses, der sich zwischen parkenden Autos hindurchzwängt
Das Erdgeschoß
  
Foto eines Busses, der sich zwischen parkenden Autos hindurchzwängt
Die Galerie im Erdgeschoß
  
Foto eines Busses, der sich zwischen parkenden Autos hindurchzwängt
Das erste Obergeschoß
  
Foto eines Busses, der sich zwischen parkenden Autos hindurchzwängt
Das zweite Obergeschoß
  
Schematischer Längsschnitt Schematischer Querschnitt
Ansicht von Westen bei Nacht Eingang zum ersten OG
Ansicht von Westen bei Nacht Der Eingang zum ersten OG
Ansicht aus der Ferne
Blick auf das Ensemble aus Pfarrkirche und Schulhaus
  

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Fotos: Robert Beck, Martin Gascher, Michael Nadler, Fritz Wallner