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„Man stolpert mit Kopf und dem Herzen“

„Stolperstein“ im Bürgersteig erinnert an von Nazis ermordete Therese Wallner

SCHIERLING, 27.07.2010. Ein „Stolperstein“ erinnert seit Montag vor dem Rathaus an die gebürtige Schierlingerin Therese Wallner, die Ende November 1940 durch die so genannte „T-4-Aktion“ der Nationalsozialisten ermordet wurde. Es sei der erste „Stolperstein“ für ein nationalsozialistisches Euthanasie-Opfer und der erste Stolperstein im Landkreis Regensburg überhaupt, sagte Dieter Weber, Leiter des Evangelischen Bildungswerks Regensburg. Der Künstler Gunter Demnig verlegte am Montag weitere 15 Stolpersteine in Regensburg. Bürgermeister Christian Kiendl appellierte, niemals die Gräueltaten des Dritten Reichs zu vergessen.

Der neue
Der kleine „Stolperstein“ korrespondiert am Rathausplatz mit dem Relief, das den Umriss des gesamten Marktes Schierling zeigt 
Pfarrer Josef Helm und Thomas Klenner beim Gebet
Die Pfarrer Josef Helm und Thomas Klenner leiteten das Gebet für die Opfer

Vor fast 70 Jahren wurde mit Therese Wallner eine Schierlingerin Opfer des Unrechtsregimes der Nationalsozialisten. Sie wurde ermordet, weil sie krank war. Sie wurde vergast, weil sie nicht den übersteigerten Ansprüchen eines „perfekten Menschen“ entsprach. Bürgermeister Kiendl schilderte den Tod von Therese Wallner, die in einer Heil- und Pflegeanstalt in Regensburg wohnte.

„Todeskommandos kamen ins Haus und sortierten die Menschen nach Aktenlage aus.“ Die todbringenden Ärzte hätten sich nicht einmal die Mühe gemacht, mit den Menschen zu sprechen. Therese Wallner wurde Ende November 1940 Opfer der „T-4-Aktion“, der ersten Euthanasie-Aktion der Nazis. Sie starb in Hartheim bei Linz.

„Wir sind heute zusammengekommen, um dieser Frau zu gedenken“, sagte Kiendl. Er appellierte, nicht mit dem Erinnern an die Verbrechen des Dritten Reichs aufzuhören. „Wir dürfen das nie vergessen, weil solche himmelschreiende Grausamkeiten nie mehr geschehen dürfen.“ Wahre Politik diene dem Menschen und vernichte ihn nicht. Keine Generation dürfe einen so schlimmen Tatbestand wie die Vernichtung von Menschen aus niedrigen Beweggründen - also Mord - für erledigt erklären. Er freute sich, dass die nächste Generation in Gestalt der Abschlussklasse der Placidus-Heinrich-Volksschule mit Rektorin Gudrun Honke und Lehrer Michael Meyer zur Gedenkveranstaltung gekommen waren. „Wir sind heute hier, weil uns damit auch klar wird, dass das größte Unrecht der Geschichte unseres Volkes nicht irgendwo, sondern ganz nah - in unserer Gemeinde - seine grausamen Spuren hinterlassen hat“, so der Bürgermeister (die PDF-DateiBegrüßungsansprache im Wortlaut - PDF-Datei, 20 kB).

Dieter Weber, Leiter des Evangelischen Bildungswerks, berichtete, dass es seit fünf Jahren eine Stolperstein-Initiative in Regensburg gibt, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, mit möglichst vielen „Stolpersteinen“ an die vielen Schicksale der Nazi-Opfer in der Region zu erinnern. Die Gedenktafel für Therese Wallner sei die erste, die im Landkreis Regensburg verlegt wird. Der Stolperstein für Therese Wallner sei auch der erste im Gedenken an ein Euthanasie-Opfer. In Regensburg wurden bereits 55 verlegt, 15 weitere kamen am Montag dazu, berichtete Weber.

Gunter Deming beim Verlegen des STeins
Der Künstler Gunter Demnig verlegte eigenhändig den Stein. Er wurde von Sebastian Ottowitz auf der Trompete begleitet

Begleitet von den Trompetenklängen von Sebastian Ottowitz verlegte dann der Künstler Gunter Demnig den Stolperstein in den Gehweg. Demnig, der die „geniale Idee“ - so Weber - zu den „Stolpersteinen“ hatte, sagte, dass inzwischen 25000 Stolpersteine in ganz Europa verlegt wurden. Sogar im deutschen Pavillon auf der Expo in Shanghai seien 16 zu sehen. Im Gegensatz zu den abstrakt großen Zahlen der Nazi-Opfer könne man durch die Gedenktafeln die Einzelschicksale erfahren. „Wer hinsieht, verbeugt sich automatisch vor den Opfern“, sagte Demnig. „Man stolpert mit Kopf und dem Herzen“, zitierte er die Aussage eines Hauptschülers, der damit einmal auf die Frage antwortete, ob denn, wer stolpere nicht auch hinfalle.

Der evangelische Pfarrer Thomas Klenner sagte, der Stolperstein solle Mahnung sein, einzutreten für die Schutzbefohlenen und für die, die Hilfe brauchten. Der katholische Pfarrer Josef Helm sprach mit den Anwesenden ein Gebet für Therese Wallner und die Opfer der Nazidiktatur. Es wurden rote und weiße Rosen niedergelegt.

Teilnehmer der Feier beim Niederlegen von Rosen
Am „Stolperstein“ wurden Blumen niedergelegt

Aktion „Stolpersteine“

Die „Stolpersteine“ sind Betonsteine mit einer Kantenlänge von zehn Zentimetern, auf deren Oberseite sich eine individuell beschriftete Messingplatte befindet. Mit den „Stolpersteinen“ soll an das Schicksal der Menschen erinnert werden, die im Nationalsozialismus ermordet, deportiert, vertrieben oder in den Suizid getrieben wurden. Sie werden vor den letzten frei gewählten Wohnorten der NS-Opfer in das Pflaster des Gehweges eingelassen. Schierling ist die 525. Kommune in Deutschland und die erste im Landkreis Regensburg, in der ein „Stolperstein“ verlegt wurde. Insgesamt sind europaweit 25000 solcher Gedenktafeln verlegt worden.

Gunter Deming bei einer Ansprache vor Publikum
V.l. Künstler Demnig, Dieter Weber vom Evangelischen Bildungswerk Regensburg, Verwandte der Ermordeten, Mitglieder des Marktgemeinderates und Bürger

Hintergrund

Bereits im Jahre 1983 hatte es vom Kulturdezernat der Stadt Regensburg eine Anfrage gegeben. Der damalige Schierlinger Bürgermeister Ludwig Kattenbeck teilte dem mit, dass „wir zweifelsfrei feststellen können, dass Therese Wallner eine Tochter der Müllerseheleute Mathias und Franziska Wallner ist“. Leider sei keine Eintragung über den Tod vorhanden, so Kattenbeck weiter. Der Regensburger Historiker Dr. Hans Simon-Pelanda ist jüngst bei seinen persönlichen Nachforschungen wieder auf die Unterlagen gestoßen und hat sie Sandra Breedlove von der Regensburger „Stolperstein“-Initiative überlassen.

Sie ermittelte, dass die Schierlingerin Therese Wallner, die sich als Patientin in der „Heil- und Pflegeanstalt Regensburg“ befand, zu den Opfern von Hitlers „T-4-Aktion“ wurde. Ebenso wie Tausende psychisch kranker Menschen wurde sie nach Hartheim bei Linz gebracht und dort vergast. Es liegt Schriftverkehr vor, wonach im Dezember 1940 die Urne vorhanden war. Am 19. Dezember 1940 wurde der Familie mitgeteilt, dass die Urne beim städtischen Bestattungsamt Regensburg liegt. Am 23. Dezember 1940 – einen Tag vor Heiligabend - bestätigte Mathias Wallner, dass er die Urne seiner Schwester erhalten hat.

Dr. Clemens Cording berichtet in seinem Büchlein „Die Regensburger Heil- und Pflegeanstalt Karthaus-Prüll im „Dritten Reich“ über das brutale und menschenverachtende Vorgehen bei der „T-4-Aktion“. Anfang September erschien in Karthaus eine „Kommission von Ärzten und offenbar Medizinstudenten“. Diese arbeitete die Akten durch, hielt sich an – auch an sehr alte – ärztliche Bunde, fragte nur Pflegeschwestern und –brüder und ignorierte sogar einen Eilbrief aus dem Innenministerium, wonach bei den Fragebögen das Benehmen mit dem Anstaltsarzt hergestellt werden müsse.

Die Schüler und Schülerinnen bei der Feier
Auch die Abschlussklasse der Placidus-Heinrich-Volksschule nahm an der Gedenkfeier teil

Text: Sebastian Brückl, Allgemeine Laberzeitung
Fotos: Fritz Wallner