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Neujahrsempfang für Ausbildungsbetriebe

Unternehmer Rupert Voß sprach über die Chancen schwieriger Jugendlicher

SCHIERLING, 27.01.2010. Der Neujahrsempfang des Marktes im Saal des Restaurants "topfour" galt in diesem Jahr speziell den 60 Unternehmen, Handwerks- und Handelsbetrieben, die derzeit oder in den letzten fünf Jahren Jugendlichen einen Ausbildungsplatz zur Verfügung gestellt haben. Bürgermeister Christian Kiendl nannte als Sinn der Marktwirtschaft "die optimale Versorgung der Menschen mit Arbeit und Brot". Schreinermeister Rupert Voß aus Holzkirchen sprach über "Mensch-Menschlichkeit-Erfolg" und beeindruckte die Zuhörer auf besondere Weise.

Die Gäste im topfour
Beim Schierlinger Neujahrsempfang wurden besonders die Ausbildungsbetriebe in den Mittelpunkt gerückt
Bgm. Christian Kiendl
Bürgermeister Christian Kiendl dankte für die hohe Ausbildungsquote

Bürgermeister Kiendl freute sich über den Besuch von Betriebsinhabern, deren Ehegatten und Ausbildungsleitern. Er verwies auf die vor rund zehn Jahren beim Stadtmarketing-Prozess entstandene optimale Kooperation von Gewerbeverein und Placidus-Heinrich-Volksschule bei der Lehrstellenbörse. "Dieser Neujahrsempfang dient in erster Linie dem Dank!", so Kiendl. Den jungen Menschen die Chance von Bildung und Ausbildung zu geben sei eine der elementaren Grundlagen in deren Entwicklung. Er kritisierte, dass Teile der deutschen Wirtschaft im letzten Jahr die Verluste sozialisiert haben, nicht aber die Gewinne. "Manche haben profitiert wie die Geier und später wurde die Allgemeinheit zur Kasse gebeten", so Kiendl. Gewinn zu machen, sei grundsätzlich kein Problem, denn er sei unabdingbare Voraussetzung für ein erfolgreiches Unternehmen. "Das Problem beginnt dort, wo Gewinn einerseits und Verantwortung für die Allgemeinheit andererseits nicht mehr gekoppelt sind", fuhr er fort. Das Fazit daraus sei, dass Ethik und Moral in der Wirtschaft da zum Zuge kommen, wo alle nicht bloß an sich selber denken, sondern gleichzeitig stets das Allgemeinwohl im Auge haben. Er zollte den Schierlinger Betrieben großen Respekt, weil sie ihrer Verantwortung durch die Möglichkeit der Ausbildung in hohem Maße gerecht geworden sind. Er dankte gleichzeitig, weil trotz der Krise viele Menschen ihren Arbeitsplatz erhalten konnten. Die neue "Mittelschule" habe auch das Ziel, die Jugendlichen "stark im Beruf" werden zu lassen, so der Bürgermeister.

Landrat Herbert Mirbeth
Landrat Herbert Mirbeth rief zu einer begabungsgerechten Schulbildung auf

Den Menschen, nicht sein Handeln sehen
"Unternehmen 2020 - die menschliche Herausforderungen für Ausbildung und Unternehmer", hieß das Thema von Rupert Voß. Er brach eine Lanze dafür, dass sich Arbeitgeber ihren Mitarbeitern als ganzen Menschen widmen. Besonders bei der Integration oft schwieriger junger Menschen. Manche haben als Straffällige oder Drogensüchtige bereits bis zu 15 Stationen hinter sich, bevor sie in die Schreinerei oder ein anderes Unternehmen von Rupert Voß kommen. "80 Prozent sind ohne Schulabschluss, 50 Prozent mit Gefängniserfahrung, und die meisten sind in unserem Land groß geworden", stellte er fest. Mit seiner Initiative "Work and Box Company" strebt er an, diese Jugendlichen innerhalb eines Jahres in den ersten Arbeitsmarkt vermitteln zu können. Bei 80 Prozent gelingt das und auch die Nachhaltigkeit ist gegeben, denn 90 Prozent halten mindestens drei Jahre durch. Der volkswirtschaftliche Nutzen ist nach Voß enorm: Ein Strafgefangener kostet in drei Jahren rund 100000 Euro, rechnete er vor, das sind bei den bisher betreuten 62 Jugendlichen 6,2 Millionen. "Unsere Work an Box Company hat im gleichen Zeitraum 1,5 Millionen Euro gebraucht", so Voß. Den Grund für den Erfolg sieht Voß in seiner Grundeinstellung: "Es geht um die Fähigkeit, Beziehungen einzugehen, und bedingungslos den Menschen zu akzeptieren, nicht sein Verhalten", sagte er. Und weiter: "Wenn ein Mensch an der Seele verletzt ist, muss man ihn auch an dieser Stelle heilen". Außerdem der Glaube an das Gute im Menschen, obwohl viele der jungen Menschen schon in ihrer Familie mit Gewalt in Kontakt gekommen sind. Voß stellte schließlich die Frage, was die Menschen in der deutschen Gesellschaft wirklich brauchen, um erfolgreich und glücklich zu sein. "Besteht schon darin eine Lebensaufgabe, dem Geld zu dienen?", fragte er kritisch. Oder dem Sex, dem Körperkult, Fernsehen oder den Computerspielen? Voß stellt jedem neuen Mitarbeiter einen "Paten" zur Seite, damit junge Menschen einen neuen Horizont bekommen. Er lobt Prämien für besonders gute Ausbildungsabschlüsse aus und hat generell das "Du" eingeführt. "Wir verknüpfen menschliche Angebote mit Förderung und Forderungen, denn so entsteht ein kontinuierlicher Verbesserungsprozess!", so der Vorzeige-Unternehmer. Bürgermeister Christian Kiendl war, wie die meisten der Anwesenden, ergriffen von der Tiefe der Gedanken von Rupert Voß.

Bgm. Christian Kiendl und Rupert Voß
Der Unternehmer Rupert Voß (rechts) stellte die Unternehmens- und Ausbildungsphilosophie 2020 vor

Der Neujahrsempfang

Gäste. Zu den Ehrengästen gehörten MdB Peter Aumer, die Landtagsabgeordneten Sylvia Stierstorfer, Tanja Schweiger und Margit Wild, Landrat Herbert Mirbeth, Rektorin Gudrun Honke, Konrektorin Birgit Bumes und Lehrerin Hilde Roth von der Placidus-Heinrich-Volksschule sowie die Vorstandschaft des Gewerbevereins.

Grußwort. Landrat Herbert Mirbeth lobte Schierling als starkes, festes und innovatives Gebäude im Landkreis, das sich immer wieder mit guten Ideen hervor tut. Der junge Bürgermeister Christian Kiendl habe sich einen guten Namen gemacht. Der Landrat dankte den Ausbildungsbetrieben, denn "sie sichern die Leistungsfähigkeit für die Zukunft ab". Er brach eine Lanze für den "aktivierenden Staat", der hilft, damit sich die Menschen selbst helfen können. Bildungspolitik darf sich nach Mirbeth "nicht an Übertrittszahlen orienterien", sondern muss eine begabungsgerechte Ausbildung im Blick haben. "Wir brauchen praktisch orientiere und theoretisch orientierte Menschen: beide sind wichtig!", so Mirbeth.

Statistik. Derzeit beschäftigen 45 Schierlinger Betriebe insgesamt 196 Auszubildende. Auch der Markt Schierling bildet seit rund 30 Jahren regelmäßig "Verwaltungs-Fachangestellte, Fachrichtung Kommunalverwaltung" aus.

Festredner. Rupert Voß stellte sich "Schreinermeister, Coach und Sozialtherapeut" mit Hauptschulabschluss vor. In seinen Unternehmen beschäftigt er 40 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Voß hat sich der Hilfe von Jugendlichen und jungen Erwachsenen verschrieben. Als Auszubildende beschäftigt er vorzugsweise schwierige und straffällig gewordene Jugendliche. Seine "Work and Box Compony" wurde auch mit dem Bürgerkulturpreis des Bayerischen Landtags ausgezeichnet. Ab 18. März gibt es in den Kinos einen Dokumentarfilm über seine Arbeit. Mehr Informationen unter Externer Linkwww.rupert-voss.de.

Reaktion. "Diese Arbeit möchte ich gerne einmal an Ort und Stelle sehen", sagte Lehrerin Hilde Roth voll Anerkennung für Voß. Roth führt seit Jahrzehnten an der Placidus-Heinrich-Volksschule junge Menschen zum Übergang in das Berufsleben. "Der Mann ist eine außergewöhnliche Persönlichkeit!", stellte Schwester Rosina Ernst, die Leiterin des Kindergartens St. Michael nach einem langen Gespräch mit Rupert Voß fest.

Schulleiterinnen im Gespräch mit Sylvia Stierstorfer
Die Schule im Gespräch mit der Landtagsabgeordneten Sylvia Stierstorfer
Bgm. Kiendl, MdB Aumer, MdL Wild und MdL Schweiger
Bürgermeister Christian Kiendl mit v.r. MdB Peter Aumer, MdL Margit Wild und MdL Tanja Schweiger
Bgm. Christian Kiendl und Rupert Voß
Musiker/innen
Rupert Voß und Schwester Rosina Ernst
Schwester Rosina Ernst im Gespräch mit Rupert Voß

Text und Fotos: Fritz Wallner