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Laudatio auf Dr.-Ing., Dr.-Ing. E.h. Rudolf Hell zum 100. Geburtstag

Dipl.-Ing. Boris Fuchs, Frankenthal


Wir sind heute hier zusammen gekommen, um einen genialen Erfinder und großen Pionier in der Nachrichtentechnik zu ehren und einen runden Geburtstag zu feiern. Lassen Sie mich daher geschichtlich etwas ausholen, damit uns die ganze Bedeutung von Dr. Ing. Rudolf Hell und seinem Lebenswerk bewusst wird.

...von den Anfängen
Im Jahre 1809, genau am 28. August 1809, stellte der Münchner Anatomie-Professor, Samuel Thomas von Sömmerring, seinen elektrolytischen Telegraphen in der Bayrischen Akademie der Wissenschaften der Öffentlichkeit vor. Es war der erste elektrische Telegraphen überhaupt. Er hatte den Termin bewusst so ausgewählt, um damit eine Hommage an seinen langjährigen Briefpartner und wissenschaftlichen Freund, Johann Wolfgang von Goethe, zu dessen 60. Geburtstag zum Ausdruck zu bringen.

Einige Jahre später besuchte der große Mathematiker und Direktor der Göttinger Sternwarte, Carl Friedrich Gauß, von Sömmerring in München, wo er dessen Telegraphen sah. Er war darüber so begeistert, dass er gleich nach seiner Rückkehr nach Göttingen zusammen mit seinem Freund Wilhelm Weber, Professor für Physik, einen verbesserten Telegraphen baute. Es war ein Magnetnadel-Telegraphen mit codiertem Alphabet, den die beiden Freunde ab 1833 jedoch nur für ihre interne Kommunikation zwischen Sternwarte und Physikalischem Institut einsetzten.

Um die codierte Telegraphie der Allgemeinheit zugänglich zu machen, regte Gauß seinen ehemaligen Schüler, Carl August Steinheil, zu dieser Zeit bereits Professor der Physik in München, dazu an, auf dem Gebiet tätig zu werden. Steinheil erfand schließlich 1837 einen schreibenden Telegraphen mit gedruckter Zwei-Punkt-Codierung.

Durch diese Vorerfindung wurde auch der amerikanische Historienmaler Samuel Morse auf seiner Europareise 1832 zu seinem Morse-Telegraphen inspiriert. Ihm fiel so als Schlussmann eines über viele Jahre sich erstreckenden Staffelllaufs, der Weltruhm allein zu.

Sie werden sich vielleicht wundern und fragen, warum ich diese alten Geschichten an den Anfang einer Laudatio auf den von uns allen hochverehrten Jubilar, Dr.-Ing Rudolf Hell, stelle? Weil es die Erinnerung daran ist, dass runde Geburtstage von großen Persönlichkeiten schon immer dazu angetan waren, ihnen eine Hommage entgegenzubringen. Und so wollen wir dies heute auch Ihnen gegenüber, sehr geehrter Herr Dr. Hell, an Ihrem 100. Geburtstag mit großem Respekt, Bewunderung und Herzlichkeit tun.

Zum einen soll der historische Vorspann das bestätigen, was Sie bei Ihrer Dankrede bei der Verleihung des Gutenberg-Preises 1977 so vortrefflich angesprochen haben. Sie sagten damals: "Während der Künstler weitgehend unabhängig von der gegenwärtigen Kunst Neues schaffen kann, ist der Ingenieur darauf angewiesen, auf dem vorhandenen Stand der Wissenschaft und Technik aufzubauen. Es ist somit die Arbeit des einzelnen die Fortsetzung einer Kette von Forschungsarbeiten, an der viele Wissenschaftler beteiligt sind, wobei oft Ähnliches, manchmal auch zur gleichen Zeit an verschiedenen Orten entsteht".

Welch wunderbare Worte aus dem Mund eines Genies, das sich bei vielen seiner zahlreichen Erfindungen widerspruchslos hätte allein stellen können!

Und zum zweiten wollte ich mit der Kette von Erfindern, die Münchner Schule der Text- und Bildtelegraphie aufzeigen, die Sie, Herr Dr. Hell, mit der notwendigen Begeisterung, Ausdauer und innovativen Intelligenz fortgesetzt haben. Getreu Ihrem Lieblingsspruch, dass Erfinden zu 10% aus Inspiration und zu 90% aus Transpiration besteht.

Bevor ich jedoch auf diese Münchner Zeit zu sprechen komme, will ich Ihren Lebenslauf von Anfang an erzählen.

Die Jugend
Dem Ehepaar Karl Hell, Amtmann und Bahnhofvorstand zu Eggmühl, einer kleinen Gemeinde südlich von Regensburg, und der Lidwina Hell, geb. Meyringer und Tochter eines Guts- und Brauereibesitzers in Niederbayern, wurde am 19. Dezember 1901 ein Sohn mit Namen Rudolf geboren, dem schon zwei Brüder vorausgegangen waren.

Das Geburtshaus war der Bahnhof von Eggmühl, in dem die Familie wohnte und das nach der Erinnerung von Dr. Hell sehr romantisch ausgesehen haben muss.

In Eggmühl wurd im Zuge der Gebietsreform mit mehreren Nachbargemeinden zum Markt Schierling zusammengefasst. Heute gibt es auf der Unterdeggenbacher Seite des Ortes eine Rudolf Hell-Straße, wie ich dies kürzlich bei einem Besuch dort vorgefunden habe und wie dies kürzlich auch hier in Kiel Dr. Hell zu Ehren erfolgt ist.

Als der Knabe 6 Jahre alt war, siedelte die Familie nach Eger um, im heutigen Tschechien Cheb genannt, da der Vater an diesen bedeutenden Eisenbahn-Knotenpunkt der K & K-Monarchie versetzt wurde - ein Wanderleben, das in vielen Biographien von Eisenbahnerkindern zu finden ist.

In Eger besuchte er die Grund- und Realschule. Schon früh zeigte sich dabei sein Interesse für alles Naturwissenschaftliche. Später sagte er über diese Schulzeit: "In Physik und Mathematik war ich immer der Beste, in Sprachen mäßig und dort, wo man viel lernen musste, war ich einfach schlecht".

Das Studium bei Dr. Max Dieckmann
Mit 18 Jahren trat der junge Rudolf Hell das acht-semestrige Studium der Elektrotechnik an der Technischen Hochschule München an, das er 1923 mit dem Grad eines Dipl.-Ing. abschloss.

Schon während des Studiums kam er mit der bereits erwähnten Münchner Schule in Berührung, wobei ihn besonders die Vorlesungen von Dr. Max Dieckmann über "Drahtlose Telegraphie" begeisterten. Dr. Dieckmann bekleidete damals eine Dozentur für "Flugfunkwesen" an der TH München und war hauptamtlich Leiter der "Drahtlostelelegraphischen und luftelektrischen Versuchsstation" in Gräfelfing bei München.

Der frischgebackene Dipl.-Ing. Rudolf Hell war von dem Sachgebiet so begeistert, dass er als unbezahlter Assistent bei Dr. Dieckmann in Gräfelfing zu arbeiten begann. Sicher war es auch die Persönlichkeit von Dr. Dieckmann und sein profundes Wissen auf dem Gebiet der Kathodenstrahlröhre, was ihn anzog. Dr. Dieckmann hatte nämlich bei Prof. Ferdinand Braun an der damals deutschen Universität Straßburg studiert. 1906 hatte er gegen den Willen seines Professors und zusammen mit einem Kommilitonen ein Patent über ein "Verfahren zur Übertragung von Schriftzeichen und Strichzeichnungen unter Benutzung der Kathodenstrahlröhre" angemeldet und erteilt bekommen. Um sich mit ihrem Professor nicht völlig zu überwerfen, verfolgten die beiden Assistenten und Doktoranden das Patent jedoch nicht weiter. Prof. Braun wollte seine "Braun'sche Röhre" nicht für solchen Unfug missbraucht sehen, sagte er.

Als Dr. Dieckmann 1913 nach München kam, stieß er abermals auf massiven Widerstand bei der Verwirklichung seiner Visionen. So wurde ihm ein Vortrag über "Drahtloses Fernsehen" vom Rektor der TH untersagt, weil er mit solchen Phantastereien den Ruf der Hochschule schädigen würde. Erst als Dieckmann das Thema in "Fernübertragungseinrichtungen von großer Mannigfaltigkeit" geändert hatte, bekam er vom Rektor grünes Licht für den Vortrag erteilt.

Das erste Patent
Dass er trotzdem in Richtung seiner Visionen weiterarbeitete, beweist das Patent, das er 1925 zusammen mit seinem Assistenten Rudolf Hell unter dem Titel: "Lichtelektrische Bildzerleger-Röhre für die Zwecke des Fernsehens" erteilt bekam.

Das gesamte System mit Sender und Empfänger wurde 1925 auf der Münchner Verkehrsausstellung vorgeführt, wo es der damals 17-jährige Schüler und spätere PAL-Farbfernseh-Erfinder Walter Bruch zu sehen bekam. Bei der Verleihung des Werner-von-Siemens-Rings 1978 an Sie, Herr Dr. Hell, gab Ihr Freund Bruch in einer Glückwunschadresse bekannt, wie sehr ihn das Gesehene damals begeistert hat und der Wunsch danach in ihm gereift sei, sich der Entwicklung der Fernsehtechnik zuzuwenden.

Über die Erfindung der Bildzerleger-Röhre selbst sagte Bruch - ich zitiere wörtlich: "Das Sondenrohr nach Hell und Dieckmann ist die einzige Bildaufnahmeröhre, deren Grundprinzip bis heute in Deutschland erfunden wurde. Eine Zusatzerfindung des Amerikaners Philo Farnsworth machte sie 10 Jahre später für den Einsatz bei den Olympischen Spielen realisierbar. Doch dabei blieb es. Für den normalen Fernsehbetrieb konnte sie leider nie empfindlich genug gemacht werden, für Filmabtaster war sie jedoch gut geeignet".

Nach diesem Erfolg wurden Sie natürlich in Gräfelfing als bezahlter Assistent geführt und konnten 1927 mit einer Dissertation über "Direktanzeigendes Funkpeilgerät für die Luftfahrt" zum Dr.-Ing. promovieren.

Da Sie die akademische Laufbahn nicht einschlagen wollten, fassten Sie 1929 den Entschluss, sich mit einem kleinen Unternehmen selbständig zu machen. Der Bayer wanderte dazu nach Preußen aus, wohl weil in dieser schwierigen Zeit von wirtschaftlichem Niedergang und politischen Wirren in Berlin die besseren Chancen zu bestehen schienen.

Der Hell-Schreiber als Startkapital
Als Startkapital diente Ihnen eine Erfindung, die fortan Ihren Namen in die ganze Welt tragen sollte. Vom "Hell-Schreiber" ist die Rede, einem Schreibtelegraphen, der statt Punkte und Striche wie beim Morse-Telegraph üblich, voll ausgeschriebene Worte im Empfänger auf Papierstreifen druckte. Sein Vorteil war der weitgehend störungsfreie Betrieb, da er mehrheitlich aus mechanischen Komponenten bestand. Zudem sorgte eine Zweispuraufzeichnung für eine Redundanz auch bei eventuell auftretenden Geschwindigkeitsdifferenzen zwischen Sender und Empfänger.

Wie man im Internet nachlesen kann, wird der Hell-Schreiber sogar heute noch in digitaler Form auf Soundkarten eingesetzt, wobei er dort "MtHellschreiber" heißt, was als Abkürzung für "Multiton-Hellschreiber" steht. Das automatische Übersetzungsprogramm einer Suchmaschine im Internet macht daraus sogar einen "Höllenschreiber" - eine Verballhornung Ihres ehrenwerten Namens, der Sie früher für Werbezwecke gern zugestimmt haben, wenn Ihre amerikanischen Vertreter den Kunden augenzwinkernd empfahlen: "Go to hell!".

1929 verkauften Sie das Hellschreiber-Patent bzw. dessen Lizenz an Siemens gegen eine Einmalzahlung von 13 000.-RM. Zusammen mit einer kleinen Erbschaft der Mutter und dem Verkauf eines Autos war dies das Gründungskapital für Ihr Unternehmen zur Entwicklung und Produktion von Nachrichtengeräten in Berlin-Babelsberg.

Zunächst galt es, den Hellschreiber weiterzuentwickeln, damit er ab 1931 bei Siemens als Siemens-Hell-Schreiber produziert und vertrieben werden konnte. 1931 waren bereits größere Räume in Berlin-Dahlem nötig geworden. Sie beschäftigten damals 12 Mitarbeiter mit Versuchen zur Ermittlung der Eignung des Hellschreibers für den Funkverkehr, ab 1934 auch für den Einsatz bei Presseagenturen und der Übermittlung von Wetterkarten. Der Hellschreiber revolutionierte fortan das gesamte Nachrichtenwesen.

1937 wurde ein größerer Neubau in der Kronprinzen-Allee eingeweiht, der ständig Erweiterungen erfuhr. 1939/40 kam durch kriegsbedingte Auflagen ein größerer Fertigungsbetrieb in Teltow hinzu.

Kurz vor Kriegsende zählte die Belegschaft rund 1000 Mitarbeiter. In den letzten Kriegstagen wurde jedoch ein Großteil der Einrichtungen zerstört - der Rest wurde nach Kriegsende requiriert, sodass Sie am Ende vor einem Nichts standen.

Der Neuanfang in Kiel
Ein verlockendes Angebot, als gesuchter Fachmann nach England zu emigrieren, lehnten Sie ab. Ihrem unternehmerischen Wahlspruch folgend: "Nie aufgeben!" wagten Sie stattdessen den Neuanfang in Kiel.
So wurde am 1. Januar 1947 die Firma Dr.-Ing. Rudolf Hell oHG in Kiel-Dietrichsdorf in gemieteten Räumen der Howaldt-Werft neu gegründet - zu Beginn nur aus zwei Personen bestehend, Herrn Sütel und Ihnen.
Für die Wartung und Reparatur von Morsegeräten und Hellschreiber galt es, Elekromaterial und Werkzeuge zu "organisieren", wie man das Beschaffen damals nannte, denn das Unternehmen musste ja im wahrsten Sinne des Wortes bei Null anfangen.

Der bekannte Name "Hell" brachte bald Aufträge von Behörden; ein Nachrichtennetz wurde im norddeutschen Raum wieder eingerichtet und erweitert. Aufträge kamen sogar aus dem gesamten deutschsprachigen Raum und bald der ganzen Welt.

Es zeugt von Ihrem unternehmerischen Weitblick, dass Sie die Notwendigkeit eines eigenen Produktprogramms über die Tagesprobleme hinaus schon früh erkannten, wobei Ihnen die über die Hellschreiber-Lizenz gewonnene Freundschaft zum Hause Siemens entgegenkam. Bei Siemens hatte man sich nämlich entschieden, nicht mehr in das Gebiet der Bildtelegraphie einzusteigen. So kam ein Vertrag zwischen den Firmen Hell und Siemens zustande, wonach alle Unterlagen und die während des Krieges ausgelagerten Teile dieses Bereichs gegen einen bestimmten Festpreis von Siemens zu übergeben waren. Die Entwicklung und Fertigung von Bildübertragungsgeräten wurde in Zukunft allein Hell überlassen. Dieser Vertrag war langfristig angelegt und lief erst 1978 aus.

Kundenkontakte mussten geknüpft und neues Personal eingestellt werden. Den Durchbruch brachten Drucker für Morsegeräte und Bildempfänger. Die nur angemieteten Räume konnten nun erworben, völlig umgebaut und mit einer Werkshalle ergänzt werden.

Als erstes Produkt, das nicht nur für Presseagenturen, sondern für den Pressedruck bestimmt war, entwickelten Sie 1950 den Klischograph K 151, der erstmals 1952 bei dpa vorgeführt wurde. 1954 folgte der Farbklischograph F 160 und 1958 der Vario-Klischograph K 181, der über einen Rechner farbkorrigierte Klischees der vier Farbauszüge lieferte. Das Geschäft mit den Klischographen gedieh prächtig, zumal es auch die Lieferung von Verbrauchsmaterialien einschloss. Ihre größten Erfindungen für das sich mit Ihrer Hilfe zur Industrie wandelnde graphische Gewerbe sollten aber erst noch kommen.

Ein Konkurrent wird zum Freund
1958 gab der allgewaltige Technikchef des renommierten Tiefdruckbertriebes "Sun Printer" in Watford bei London mit Namen Charlie Cook, ein etwas rauhbeiniger und seinen Betrieb autokratisch führender Mann, sowohl Ihnen, als auch Ihrem Konkurrenten John Crosfield in London den Auftrag, einen Farbscanner ähnlich dem der amerikanischen TIME-LIFE Corporation zu entwickleln. Denn diese war nicht gewillt war, die Farbscanner zu verkaufen. So kam es zur simultanen Entwicklung des Colorgraphen bei Ihnen in Kiel und des Scanatrons bei Crosfield in London. Erst als die beiden Farbscanner bei Sun Printers nebeneinander im Betrieb standen und mit Erfolg arbeiteten, erfuhren die beiden Konkurrenten vom Doppelspiel ihres Kunden.

Schon damals muss sich eine Sympathie zu Ihrem Konkurrenten John Crosfield angebahnt haben, die sich im Verlauf der Weiterentwicklung der Scannertechnik noch verstärkte.

Es war im Jahre 1967, als John Crosfield in höchster Not zu Ihnen nach Kiel angereist kam. Er hatte in London bei der Weiterentwicklung des Scanatron zum variabelformatigen Magnascan festgestellt, dass die Firma Hell das einzig mögliche Prinzip der vorherigen Speicherung der Abtastsignale wenige Monate zuvor zum Patent für ihren Vario-Chromagraphen angemeldet hatte. Der Magnascan war aber zur Sicherung des weiteren Absatzes von Scannern absolut notwendig.

Sie, Herr Dr. Hell, zeigten sich John Crosfield gegenüber sehr großzügig, wohl auch, nachdem sie alte Kriegserinnerungen ausgetauscht hatten. So kamen Sie zu einem wahrhaften Gentlemen-Agreement, indem Sie beschlossen, sich gegenseitig nicht mit Patenten im Wege zu stehen. Sie erteilten Crosfield eine Lizenz auf Ihr Patent, wodurch der Magnascan in London gebaut werden konnte. Das Geschäft mit Farbscannern und der Weiterentwicklung zu großen Bildverarbeitungssystemen wurde für beide Firmen ein äußerst erfolgreiches und beide hielten darin über viele Jahre fast ein gemeinsames Monopol mit je über 2000 Mitarbeitern.

Seit dieser Zeit nennen sich Rudolf Hell und John Crosfield gute Freunde, wie sie dies öfters verlauten ließen. Gerne hätte ich John Crosfield heute als Überraschungsgast mit hierher gebracht. Verheiratet mit der Amerikanerin Edythe verbringt das Ehepaar jedoch die Wintermonate im sonnigen Florida und eine zusätzliche Reise des 87-jährigen John Crosfield wäre zu strapaziös geworden. Er versprach jedoch, Ihnen einen schönen Geburtstagsbrief zu schreiben und ich hoffe, dass dieser inzwischen bei Ihnen angekommen ist.

Vom Hochdruck zum Tiefdruck
Noch drei weitere große Erfindungen von Ihnen sind zu erwähnen. Da ist zunächst der Helio-Klischograph. Auch hier war es ein äußerst agiler und dominierender Technikchef eines großen Pressehauses, der Ihnen Absatzchancen eines solchen Produktes signalisierte. Sein Name ist Dr. Walter Matuschke, damals Technischer Direktor des Axel Springer Verlags in Hamburg, der im Oktober 1959 nach einer Besprechung, die eigentlich den Colorgraphen betraf, zu Ihnen sagte: "Sie bauen so erfolgreiche Farbklischographen für den Hochdruck. Machen Sie doch so etwas auch für den Tiefdruck!"

Kurzentschlossen nahmen Sie einen kleinen Formzylinder der Versuchstiefdruckmaschine aus dem Springer-Labor in Hamburg mit nach Kiel und schon im Januar 1960 brachten Sie den gravierten Zylinder zurück, wo er nach dem Abdrucken auf der Versuchsmaschine gegenüber den geätzten Zylindern zumindest als gleichwertig beurteilt wurde.

Bereits 1971 wurde der 100. Helio-Klischograph ausgeliefert.

Erfindungen für die Welt von heute
Die zweite große Erfindung betraf das Pressfax, das als zeitungsseitengroße Übertragungseinrichtung 1964 aus den kleineren Bildübertragungsgeräten hervorging und einen großen Einfluss auf die zukünftige Gestaltung und Organisation der Zeitungsbetriebe ausübte. Mit ihm wurde es nämlich den Zeitungsverlagen ermöglicht, ihre Zeitungen dezentral zu drucken. Das betraf nicht nur die Trennung von Redaktion in der Stadt und der Druckerei am Stadtrand, sondern auch das verteilte Drucken der Zeitung an mehreren Orten, um den physischen Transport der Zeitungen zu verkürzen. Und so können auch dank Ihrer Pionierarbeit heute Menschen die Zeitungen ihres Heimatlandes überall auf der Welt zeitgleich lesen.

Last but not least, war der Digiset eine Ihrer bedeutensten Erfindung. Mit dieser erstmals vollelektronischen Lichtsetzmaschine schloss sich der Kreis zu Ihren Münchner Erfindungen bei Professor Dieckmann. Sie kehrten damit 1965 zur Kathodenstrahlröhre zurück, auf der Sie die Schriftzeichen aus elektronisch gespeicherten Rasterpunkten zusammensetzten. Die Radio Corporation of America, RCA, hatte zwar zur gleichen Zeit ein ähnliches Gerät mit der Bezeichnung "Videocomp" herausgebracht, da man jedoch das Digiset-Prinzip als das Bessere befunden hat, bezog RCA in den folgenden Jahren mehr als 100 Digisets für den Weiterverkauf in USA aus Kiel.

Hier soll meine Zeitreise durch das berufliche Leben von Dr. Hell enden. Viele Ehrungen wären noch zu erwähnen, die ich Sie bitte, in der Festschrift nachzulesen. Hundert Jahre alt zu werden, ist sicher auch eine Ehrung, die vom Allerhöchsten, nämlich Gott, verliehen wird.

Dass aber auch dieser Geburtstag nur eine Zäsur in der langen Reihe von Lebensjahren ist, wurde mir bewusst, als mir kürzlich ein Buch von Harald Wenzel-Orf in die Hände fiel, das den Titel trägt: "Mit hundert Jahren war ich noch jung". Es ist dies die Sammlung der Biographien von 50 deutschen Überhundertjährigen. Der im Titel wiedergegebene Ausspruch stammt dabei von dem Drucker Kurt Ost, Jahrgang 1897, der noch jeden Tag in seine Druckerei geht, mit 95 den gesamten Rennsteigweg von 168 km Länge in 9 Tagen hintereinander erwanderte, mit 100 nach Griechenland reiste, um die griechische Geschichte vor Ort zu studieren, und mit 103 auf Sizilien bis zur Schneegrenze des Ätna hochstieg. Überhaupt hatten alle Personen in dem Buch wenig Zeit, weil ihre Terminkalender kaum Lücken zeigten oder sie gerade verreisen wollten.

Mit diesem Buchgeschenk und dem Wunsch, dass auch Sie noch lange auf diesen Tag mit Freude zurückblicken können, schließe ich meine Laudatio und danke allen für's Zuhören.
 


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