Helfen aus Verantwortung

„Sea-Eye“-Gründer Michael Buschheuer sprach beim Jugendtag über Seenotrettung im Mittelmehr – und was das mit „Heimat“ zu tun hat

SCHIERLING, 06.11.2018. Es war schwere Kost, die Michael Buschheuer, der Gründer der Mittelmeer-Seenotrettung „Sea-Eye“ beim Jugendtag „Voll daheim – Voll dabei“ in der Mehrzweckhalle auftischte. Und er machte manches Vorurteil zunichte, das sich im Laufe von Jahren bei Teilen der Bevölkerung breit gemacht hat. Denn die aktuelle europäische Grenze sei das Mittelmeer, und schon seit sehr vielen Jahren habe Europa Libyen als „Türsteher“ bezahlt, damit die Flucht aus Afrika unterdrückt wird. Nach Buschheuers Erkenntnis seien im Juli 2018 so viele Flüchtlinge wie nie zuvor im Mittelmeer ertrunken, und den Schleusern sei es völlig egal, ob diese armen Menschen von jemanden gerettet werden oder nicht. „Sea-Eye“ sei aber derzeit jede Aktion untersagt.

Michael Buschheuer beim Vortrag
Der in Mallersdorf geborene Gründer der Seenotrettung „Sea-Eye“ hielt beim Jugendtag in Schierling einen ebenso aufrüttelnden wie informativen Vortrag über die Lage der Flüchtlinge am Mittelmeer und die Verantwortung Europas

„Was hat das Mittelmeer mit Heimat zu tun?“, fragte der 41-jährige dreifache Familienvater. Mallersdorf, sein Geburtsort, aber auch Regensburg, Bayern seien seine Heimat. „Ich fühle mich sehr deutsch, aber auch europäisch“, fuhr er fort. Er sei dankbar, dass er in so einer guten Zeit leben darf.

Fluchtbewegungen seit 1991

Und weil das Mittelmeer die aktuelle europäische Grenze sei, bedeute auch das ein bisschen Heimat. Fluchtbewegungen in Richtung Europa habe es bereits seit 1991 immer wieder gegeben. Mit der Aktion „Mare Nostrum“ habe Italien im Jahre 2013 etwa 120000 Menschen – ganz alleine - vor dem Ertrinken gerettet. Weil in der Folgezeit Italien aber von den anderen Ländern im Stich gelassen worden wurde, sei diese Seenotrettung zu Ende gegangen. Seit 2015 gebe es eine europäische militärische Aktion, doch Flüchtlinge würden bis heute ertrinken. Für ihn sei im Jahre 2015, als er vom Einsatz und den Erzählungen von „Ärzte ohne Grenzen“ erfuhr, der Moment des Nachdenkens gekommen. „Bin ich verantwortlich? Bin ich handlungsfähig?“, sei in ihm hochgekommen. Und wenn sonst niemand etwas tue, dann sei auch er in der Verantwortung, sei ihm sehr schnell klar geworden.

Verantwortung gespürt

Mit Gleichgesinnten aus der ganzen Republik habe er, der Realschulabsolvent, Maler und Lackierer, ein 60 Jahre altes Schiff gekauft, und in einer Werft mitgeholfen es herzurichten. „Wir alle wollten nicht akzeptieren, dass im Mittelmeer Leute ertrinken!“, so ihre Intention. Sie bildeten eine Crew, stellten eigene Befindlichkeiten hintan und sich in den Dienst der guten Sache.

Von da an befuhren sie die Küste vor Libyen. Das Auffinden von Schlauchbooten glich der Suche nach der Nadel im Heuhaufen. „Die Schleuser sind skrupellos und stopfen die Boote voll“, so seine Erfahrung. Weil die „Sea-Eye“ und das genauso alte Schwesterboot klein sind, wurden keine Flüchtlinge an Bord genommen.

Schleuser sind skrupellos

„Sea-Eye“ spürte die in Not geratenen Menschen auf, stattete sie auf ihren Schlauchbooten mit Schwimmwesten und Trinkwasser aus, alarmierte die Seenotleitstelle in Rom und wartete, bis die Menschen von anderen Schiffen übernommen wurden. Insgesamt bisher 13348. Europa habe angeblich 30 Schiffe im Einsatz gehabt, doch an Ostern 2017 seien nach Buschheuer 14000 Menschen in Seenot gewesen - und nur ein einziges Schiff verfügbar. „Die Politik wollte uns 2017 weghaben und hat uns viel angedichtet!“, so Buschheuer enttäuscht.

Gefoltert und ausgeraubt

Er schilderte, wie barbarisch die aus dem restlichen Afrika in Libyen ankommenden Menschen behandelt und bereits dort ihres Hab und Gutes beraubt werden. „Was dort passiert, wie die Menschen gefoltert werden, ist das Schlimmste, was man sich überhaupt nur vorstellen kann“, fuhr er fort. Die meisten Menschen, die in den Gefängnissen sind, haben versucht, mit dem Boot nach Europa zu kommen, einige von ihnen mehrfach. Sie haben zuvor oft viele Monate in den Lagern der Schlepper verbracht, wurden dann auf dem Mittelmeer von der libyschen Küstenwache gestoppt und an Land zurückgebracht – wo sie jetzt unter schrecklichen Bedingungen in Internierungslagern festsitzen. Europa versuche, diese Route unbedingt zu schließen, so Buschheuer. Und das alles, weil Europa Angst vor den Rechtspopulisten habe.

Aufmerksames Publikum
Das Publikum hörte aufmerksam zu

Juli 2018 tödlichster Monat

Bis zum Sturz von Gaddafi sei diese inhumane Maschinerie stabil gewesen, doch danach sei eine Tür aufgegangen. Es bleibe auch jetzt der offizielle europäische Kurs, diese Menschen zurückzuhalten, „obwohl feststeht, dass es immer schlimmer wird!“. Niemand rette mehr, und deshalb sei der Juli 2018 seit Menschengedenken der tödlichste Monat im Mittelmeer. „Darf das so weitergehen?“, fragte Michael Buschheuer.

Auch mit dem Vorwurf, die ehrenamtlichen Seenotretter würden die Flüchtlinge zur Fahrt aufs Meer animieren, räumte Buschheuer auf. „Den Schleusern ist es völlig egal, ob die Menschen gerettet werden oder ertrinken, sie wollen nur das Geld. Und die Flüchtlinge wissen nichts davon, was gerade politisch in Europa angesagt ist!“, so der Gründer und Vorsitzende des Vereins „Sea-Eye“. Er bezweifelte, dass sich Europa mit hunderten Millionen Euro von der Verantwortung in Libyen freikaufen könne. „Wir wollen dort eine fest Grenze installieren, und deshalb sind wir auch dafür mitverantwortlich, was dort geschieht an Unrecht und Folter: es geht uns also sehr wohl etwas an“.

Neuer Heimatbegriff

Bei den Zuhörern – den jungen Mitbürgern ebenso wie bei den Erwachsenen – herrschte Betroffenheit. Einige nutzten anschließend das Angebot im „Speakers-Corner“, um mit Michael Buschheuer noch im kleinen Kreis Fragen zu stellen und noch mehr ins Detail zu gehen. Für manche bekam der Heimatbegriff eine völlig neue Perspektive.

 
Text und Fotos: Fritz Wallner