„Freistaat Bayern“ als Ergebnis einer Revolution

Vor 100 Jahren wurde die Monarchie gestürzt – Vortrag beim Christlichen Bildungswerk

SCHIERLING, 30.09.2018. Fast auf den Tag genau ist es 100 Jahre her, dass in Bayern die Monarchie stürzte und der „Freistaat“ ausgerufen wurde. Die Schierlinger Historikerin Irmgard Herzog-Deutscher ging bei „10 vor 10“ des Christlichen Bildungswerks in der Marktbücherei dem halben Jahr vom 7. November 1918 bis 2. Mai 1919 nach, das mit der „sanften“ – unblutigen – Revolution begann und bis zur Niederschlagung der Räterepublik als Abschluss der revolutionären Phase reichte. Der Freistaat Bayern ist ein Kind der Revolution, und alles, was sonst in einem Jahrzehnt geschieht, vollzog sich in Bayern innerhalb von sechs Monaten, sagte die Referentin.

Foto der Referentin Imgard Herzog-Deutscher
In Schierling referierte die Historikerin Irmgard Herzog-Deutscher im Rahmen der Erwachsenenbildung über den Übergang Bayerns vor 100 Jahren von der Monarchie zum Freistaat

Fritz Wallner vom Bildungswerk freute sich über den guten Besuch am Mittwochvormittag und machte deutlich, dass die Ereignisse vor 100 Jahren eine wichtige Zäsur in der Geschichte darstellen.

Irmgard Herzog-Deutscher machte bewusst, dass es in Bayern kaum Erinnerungsorte für die Demokratie gibt, während die Bauten des Königreiches Bayern zu Touristenorten geworden sind.

Beachtlicher Bedeutungswandel

Dabei habe Bayern vor 100 Jahren einen sehr beachtlichen Bedeutungswandel vollzogen. Der Sturz des bayerischen Königshauses hatte seine Ursache zuvorderst in den Verwerfungen, die der Erste Weltkrieg in Staat und Gesellschaft auslöste. Während die Bayern anfangs größtenteils mit Begeisterung in den Ersten Weltkrieg zogen, stieg die gesellschaftliche und politische Krise immer mehr an. „Auch in der Heimat entstand ein Kampf ums Überleben!“, so Herzog-Deutscher. 910 000 Bayern waren in den Krieg gezogen, von denen mehr als 415 000 verwundet wurden und fast 200 000 nicht mehr zurückkamen. Daheim mussten insbesondere die Frauen den Notstand tragen.

Die Not im Ersten Weltkrieg

Die Versorgung war insbesondere für die unteren Einkommensschichten nicht mehr gewährleistet. Und auf dem Land sei hinzugekommen, dass Bayern Lebensmittel für das Deutsche Reich abgeben musste. Denn über 800 000 Menschen seien in Deutschland an Unterernährung gestorben. Bayerns Regierung sei vor allem als Ursache für den Notstand angesehen worden. Schon Ende Januar 1918 gab es mit dem Streik der Arbeiter in Münchner Rüstungsbetrieben – mit Kurt Eisner - erste Vorzeichen für die Revolution. Eisner sah einzig im Bruch mit dem alten System die Möglichkeit der Veränderung. Herzog-Deutscher machte die Bedeutung der Brüder Gandorfer aus dem nahen Pfaffenberg für die Revolution bewusst. Als Vertreter des bayerischen Bauernbundes hatten sie zugesichert, die Nahrungsmittelproduktion während des Umbruchs zu gewährleisten. Eisner hatte die unabhängige SPD gegründet, nutzte die Gunst der Stunde und rief in der Nacht zum 8. November 1918 die bayerische Republik aus.

Der König flüchtete

König Ludwig III. flüchtete aus München. Eisner wurde erster Ministerpräsident des Freistaates Bayern, doch das Ringen um eine Demokratie sei damit noch nicht entschieden gewesen. Die alte SPD unter Erhard Auer sei über die Revolution alles andere als erfreut gewesen. Diese moderne Revolution sei nach Herzog-Deutscher nur möglich gewesen, weil der komplette Verwaltungsbereich weiter funktionierte.

Mit der Verwirklichung der Nahziele sei der schichtenübergreifende Minimalkonsens, der den Umsturz ermöglicht hatte, bald aufgezehrt gewesen. Deutlich wurde dies vor allem durch die Ausbildung einer extremen Linken, die eine reine Räteherrschaft anstrebte, und die anfangs noch zaghafte Formierung einer militanten Rechten, die auf die Restaurierung eines autoritären Nationalstaats hinarbeitete.

Kurt Eisner wurde ermordet

Die Ermordung Eisners am 21. Februar 1919 war Folge der sich seit Anfang Januar allmählich zuspitzenden politischen Konflikte und habe ein gefährliches Machtvakuum geschaffen. Der erst nach langem Tauziehen bestellten Regierung unter Johannes Hoffmann (1867-1930) gelang es nicht, sich gegen die zentralen Rätegremien durchzusetzen und die Ausrufung der "Baierischen" Räterepublik zu verhindern. Deren Niederschlagung Ende April / Anfang Mai 1919 beendete die Revolution und führte mittelfristig zur Etablierung der "Ordnungszelle" Bayern. Deutlich wurde im Vortrag, dass aufgrund ihrer komplexen Wirkungsgeschichte die Revolution des Jahres 1918/19 eines der zentralen, zugleich aber auch meistumstrittenen Ereignisse der jüngeren bayerischen Geschichte darstellt.

Räterepublik war bald am Ende

Eine fundamentale Neuerung für Staat und Gesellschaft habe die von der Regierung Eisner eingeleitete und von der Regierung Hoffmann weiterverfolgte Trennung von Staats und Kirche dargestellt. Sie bescherte den Religionsgemeinschaften eine bis dahin nicht gekannte Unabhängigkeit, konfrontierte sie aber auch mit schmerzlichen Neuerungen. Nirgends wurde dies so deutlich wie auf dem Gebiet der Schule. Bereits zum 1. Januar 1919 wurde mit der geistlichen Aufsicht über die Volksschulen ein Eckpfeiler des für das Königreich Bayern kennzeichnenden Staatskirchensystems beseitigt. Mit der Einführung der Fachaufsicht gab sich der neue Kultusminister Johannes Hoffmann allerdings nicht zufrieden. Vielmehr wurde auch der Einfluss der Kirche auf die Lehrerbildung – auch der „Lehrerinnen-Zölibat“ – beseitigt.

 
Text und Foto: Fritz Wallner