Der Errettung aus Kriegsnot gedacht

In Bayern seit 100 Jahren „Fest der Patrona Bavariae“ – „Nicht blind den falschen Hirten folgen… oder sie gewähren lassen“

SCHIERLING, 06.05.2017. Seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges gedenken der Markt Schierling und die Pfarrei Schierling in großer Dankbarkeit der Errettung aus Kriegsnot. Das Gelübde war ursprünglich auf 50 Jahre angelegt. Es wurde im Jahr 1995 um 25 Jahre verlängert. An jedem 1. Mai, so auch heuer wieder, treffen sich Vereine, Kommunalpolitiker und die Bevölkerung zum Dankgottesdienst in der katholischen Pfarrkirche. Von dort geht es seit 1995 in Prozession zum Gedenkstein.

Priester und Gläubige am Gedenkstein
Nach dem Dankgottesdienst versammelt sich die Bürgerschaft am Gedenkstein

Wir dokumentieren sowohl die Predigt von Pfarrer Josef Helm während des Gottesdienstes als auch die Meditation von Pfarrer Uwe Biedermann beim Gedenkstein.

Detailaufnahme mit Gedenkstein
Der Gedenkstein wurde anlässlich der Verlängerung des Gelübdes im Jahre 1995 aufgestellt

Pfarrer Josef Helm, Predigt beim Gelübdegottesdienst am 1. Mai 2017

In ganz Bayern feiern wir heute den 1. Mai, das Fest der Patrona Bavariae.

Zwei Jahreszahlen verbinden sich mit dem Patronat Marias über das Bayernland, beide aus eher dunklen Tagen unserer Geschichte:

Schon 1616 hatte er an der Fassade seiner Residenz eine überlebensgroße Bronzefigur der Muttergottes mit dem Jesuskind anbringen lassen, darunter eine Tafel mit der Aufschrift: patrona boiariae.

Ab 1927 an wechselnden Terminen gefeiert, wurde das Fest 1970 auf den 1. Mai gelegt, der seit 1933 staatlicher Feiertag ist.

Dunkle Zeiten verbinden sich mit dem Patronat Marias über unser Bayernland.

„Rem, regem, regimen, regionem, religionem conserva bavaris, Virgo Patrona, tuis” – mit diesen Worten schloß das Weihegebet der Mariensäule (1638): Jungfrau, Beschützerin, erhalte deinen Bayern das Sach – wie man bei uns sagt – , den König, die staatliche Ordnung, das bayrische Land und die Religion, die Rückbindung, das Verbundensein mit Gott, so bittet das Gebet mitten in der Dunkelheit des Krieges.

Bis auf den König ist diese Bitte damals gehört und erfüllt worden: Unser Land hat – wenn auch mit großen Verlusten und Schäden den 30-jährigen Krieg und den 1. Weltkrieg und alle Kriege und Bedrohungen davor, dazwischen und – mit den größten Schäden – den 2. Weltkrieg überstanden.

Für das Überstanden-haben vergangener Gefahren und Bedrohungen und das Erhalten-worden-sein danken wir Gott – und der Gottesmutter für ihre Fürsprache. Für gegenwärtige und zukünftige Nöte und Sorgen bitten wir Gott, dass er uns hilft – und Maria, dass sie für uns Sünder ein gutes Wort einlegt.

Und wir in Schierling denken – seit Ende der 60er Jahre auch am 1. Mai – also: heute – zurück an das Ende des 2. Weltkrieges.

Historische Predigt von Pfarrer Franz Xaver Laubmeier im April 1946 bei der Bekräftigung des Gelübdes:

„Gegen Ende des Krieges im März und April 1945, als die feindlichen Flieger zu Hunderten unser Land überflogen und die feindliche Heeresmacht unaufhaltsam schon von Norden und Westen gegen die Donau herankam, da waren auch wir in Schierling vor der Zerstörung unserer Heimat durch Krieg nicht mehr sicher. Die Gefahr aber wurde für uns gegen Ende April noch ungleich größer als anderswo. Vom 19. bis 27. April war das Hauptquartier der Deutschen Kriegswehrmacht südlich der Mainlinie mit Oberbefehlshaber und Chef des Generalstabes im Pfarrhof Schierling und mit seinen Abteilungen in Schierling und Umgebung untergebracht. Die feindlichen Flieger gingen nieder bis auf die Hausdächer. Ob sie es vermuteten oder suchten?

Die größte Gefahr aber drohte von der Muna bei Schierling, wo ohne das Gewicht der Bombenhüllen und Kästen 6000 Tonnen Giftgas, da sind 120000 Zentner, nicht mehr gegen Flugangriffe geschützt, aufgestapelt waren. Wenn Schierling und die Muna von den Feinden mit Kampf besonders durch die Luftangriffe genommen wird, dann wird das nicht bloß Zerstörung, sondern Tod und Vernichtung bringen durch das Gas, gegen das Mensch und Vieh, Haus und Feld wehrlos sind.

Am 25. April erschienen 6 Jagdflugzeuge über der Muna, um sich über den Angriff zu orientieren. Schon fielen die ersten Bomben. In dieser Gefahr haben wir versprochen, Gott durch ein Gelübde unseren Dank zu erweisen, wenn wir gerettet werden. Ich habe das von der Kanzel aus öffentlich ausgesprochen und alle haben zugestimmt.

In der Nacht vom 26. auf 27. April gelang es, mit dem amerikanischen Armeestab in Salching die Vereinbarung zu treffen, daß die Muna und Umgebung von Schierling als „Weisses Sperrgebiet“ erklärt, aus den Kampfhandlungen ausgeschaltet, und durch den Volkssturm mit weißer Fahne abgeriegelt wurde. Wir waren gerettet! Wir haben im Jahre 1945 das Titularfest der Corporis Christi Bruderschaft als Dankfest für die Rettung aus dieser Kriegsnot mit größter Beteiligung begangen.

Am 3. März 1946 haben Kirchenverwaltung, Gemeinderat, die Consultoren der Bruderschaft und alle, die in der Kirche nach dem Gottesdienst anwesend waren, einmütig bestimmt: Wir erfüllen unser Versprechen und Gelöbnis in der Weise, daß wir 50 Jahre lang am 27. April einen Feiertag halten, einen festlichen Dankgottesdienst mit Opfergang halten. In Zweifelsfällen oder Schwierigkeiten möge der Hochwürdigste Herr Bischof entscheiden.

Wir feiern heute diesen Gottesdienst. Wir rühmen uns nicht, daß wir besser sind als andere. Wir wagen auch nicht zu sagen, daß wir den Schutz Gottes mehr verdient haben als andere, die der Zerstörung des Krieges zum Opfer gefallen sind.

Wir schließen in unseren Gottesdienst auch ein die 71 Krieger aus unserem Markte, deren Gedenkkreuze draußen auf dem Kirchhofe stehen.

Wir schließen in unser Gebet auch all die vielen, die noch fern der Heimat weilen, besonders jene, welche vermißt sind, von denen wir noch nicht wissen, ob sie leben und wiederkommen oder schon gestorben sind. Wir denken auch an die vielen, vielen, welche durch den Krieg heimatlos und mittellos geworden sind.

Wir wollen nicht vergessen, daß wir die Pflicht haben, ihnen zu helfen in der Not, um so mehr, da wir vor der größten Not bewahrt sind. Und eine Bitte fügen wir noch an:

O Herr, bewahre unser Volk und unsere Heimat, daß Gottlosigkeit und Gottvergessenheit uns nicht wieder in ein solches Unglück stürze, in welches das ganze deutsche Volk in diesen Jahren gestürzt ist! Amen!“

Pfarrer Franz Xaver Laubmeier

Pfarrer Uwe Biedermann, Meditation beim Gedenkstein am 1. Mai 2017

Lesung aus dem Buch des Propheten Ezechiel:

So spricht Gott der Herr: Wehe den Hirten, die sich selbst weiden! Sollen die Hirten nicht die Herde weiden? Aber ihr trinkt die Milch und kleidet euch mit der Wolle und schlachtet das Gemästete, aber die Herde führt ihr nicht auf die Weide. Das Schwache stärkt ihr nicht, und das Kranke heilt ihr nicht, das Verwundete verbindet ihr nicht, das Verirrte holt ihr nicht zurück, und das Verlorene sucht ihr nicht. Darum hört, ihr Hirten, des Herrn Wort! So spricht Gott der Herr: Siehe, ich gehe gegen die Hirten vor und will meine Herde von ihren Händen fordern; ich will ein Ende damit machen, dass sie Hirten sind, und sie sollen sich nicht mehr selbst weiden. Ich reiße meine Schafe aus ihrem Rachen, sie sollen nicht länger ihr Fraß sein. Denn so spricht Gott der Herr: Siehe, ich will mich meiner Herde selbst annehmen und sie suchen. Wie ein Hirte seine Schafe sucht, wenn sie von seiner Herde verirrt sind, so will ich meine Schafe suchen und will sie erretten von allen Orten, wohin sie zerstreut waren zur Zeit, als es trüb und finster war. Ich will das Verlorene wieder suchen und das Verirrte zurückbringen und das Verwundete verbinden und das Schwache stärken und was stark ist, behüten; ich will sie weiden, wie es recht ist.


Liebe Schierlinger, Schwestern und Brüder,

es ist ein Abschnitt aus der alttestamentlichen Lesung des Hirtensonntags, den wir gerade gehört haben. Nach altem Brauch hat die evangelische Kirche gestern den Hirtensonntag gefeiert. Die katholische Kirche verlegte mit ihrer Liturgiereform von 1970 den „Guthirtensonntag“ auf den dritten Sonntag nach Ostern bzw. den 4. Sonntag der Osterzeit, also auf den kommenden Sonntag. Wir befinden uns heute am Gelübdetag dazwischen.

So halte ich es durchaus angebracht, jene denkwürdigen Geschehnisse gegen „Ende des Krieges im März und April 1945“, deren wir uns heute erinnern, unter diesem Bild des Hirten und seiner Herde zu beleuchten. Freilich unsere Lebenswirklichkeit heute hat sich doch sehr gewandelt. Nur mit Augenzwinkern redet heutzutage ein Pfarrer noch von seinen Schäfchen in der Kirchengemeinde. Kein Staatsmann und keine Staatsfrau sieht sich noch als Hirte, dem eine Herde anvertraut ist. Und trotzdem ist dieser mehr als 2600 Jahre alte Text des Propheten Ezechiel doch erschreckend aktuell.

Gegenwärtige Politiker mögen sich nicht mehr Hirten nennen. Heute bezeichnen sie sich als „Dealmaker“, die mit ihren Geschäften die Nation wieder „groß“ machen. Andere nehmen sich heraus, sie allein würden das Volk repräsentieren und „Volkes Stimme“ sprechen. Wieder ein anderer scheint genau zu wissen, wer dem Land schadet. Alle Kritiker und Gegner werden eingeschüchtert oder gar ins Gefängnis gesteckt. Wer kennt sie nicht, die selbstverliebten eitlen Machthaber, die für sich und ihre Familie oder ihr Klientel Profit aus der Herde ziehen wollen! Die das Volk verführen und jegliche Unzufriedenheit oder auch echte Sorge zu ihrem eigenen Vorteil ausschlachten. Sie wähnen sich auf der Seite des Guten und wissen immer ganz genau, wer der böse Wolf ist: der gemeine Flüchtling vielleicht oder der Moslem, die verlogenen Medien, die europäische Union, die Merkel oder der Schulz. Wer anderer Meinung ist, der verbreitet „fake news“. Wehe den Hirten, die sich selbst weiden! Ich will ein Ende damit machen - spricht der HERR.


Die Aktualität der uralten Prophezeiungen des Ezechiel zeigt: manchmal wiederholt sich Geschichte und wir täten gut daran, wenn wir daraus lernen und nicht immer wieder die gleichen Fehler begehen. Die Hirten im alten Israel führten ihr Volk in die totale Katastrophe. Jerusalem wurde damals von den Babyloniern unter ihrem König Nebukadnezar dem Erdboden gleichgemacht. Alles wurde zerstört: der Tempel, die Stadt, die großen Träume und selbst die kleinen Hoffnungen.

Die Geschichte wiederholt sich mitunter. Am Ende des zweiten Weltkrieges stellte Pfr. Laubmeier fest, dass „Gottlosigkeit und Gottvergessenheit“ das deutsche Volk ins Unglück stürzte. Und alle Schierlinger gerieten in größte Gefahr dadurch, dass sie den falschen Hirten gefolgt waren. Wenn die Muna aus der Luft angegriffen würde – so Pfr. Laubmeier, „dann wird das nicht bloß Zerstörung, sondern Tod und Vernichtung bringen durch das Gas, gegen das Mensch und Vieh, Haus und Feld wehrlos sind.

Wehrlos? Was tun in der größten Not? Die Schierlinger Gemeindeglieder reagierten in zweifacher Richtung.

Zum einen: Raus aus der Schafsrolle! Nicht blind den falschen Hirten folgen… oder sie gewähren lassen. Nicht in der Herde aufgehen, sondern der Hoffnung Raum geben. Das verlangt Mut. Es braucht Mut zur Hoffnung! Sich zu erschöpfen in Ohnmachtsgefühlen, dazu braucht man keinen Mut. Die Schierlinger duckten sich damals nicht weg, sondern gingen zu den Amerikanern und baten darum, die Muna von den Kampfhandlungen auszuschließen.

Und das zweite war vielleicht noch wichtiger. Natürlich kann man auch skeptisch über das damalige Gelübde urteilen. Denn es klingt ja zunächst nach einem Deal, den man Gott anbietet: „Rettest du uns aus der Not, so werden wir dir dankbar sein. Festlicher Dankgottesdienst plus Opfergang. Zumindest 50 Jahre lang.“

Für meine protestantische Seele ist solches Zweckdenken ein wenig irritierend. Aber sei‘s drum. Das ist schließlich nicht die eigentliche Pointe des damaligen Versprechens. Sondern das Gelübde war das äußere Zeichen einer inneren Herzenshaltung. Das Gelübde machte das Gebet für die Gemeinschaft erst sichtbar.

In der Tat ist das Gebet die Stelle, an der man weiter springt, als man eigentlich springen kann. Das Gebet gräbt uns kühn und unbescheiden die Hoffnung in unsere Seelen. Deswegen kann ich mir eine Kirche nicht vorstellen, in der das Gebet nicht eine zentrale Bedeutung hat, die allem Handeln vorausgeht. Das Gebet ist die eigentliche Gestalt unserer Hoffnung. Nicht also das Gelübde selbst, sondern das tiefe Vertrauen in Gottes Barmherzigkeit ist es, was mir Pfr. Laubmeier und seine Mitstreiter zum Vorbild werden lässt. Sie haben erkannt und erfahren, dass Gott der gute Hirte ist, der sein Volk durch die Zeit führt. So spricht Gott der Herr: Siehe, ich will mich meiner Herde selbst annehmen un will sie erretten von allen Orten, wohin sie zerstreut waren zur Zeit, als es trüb und finster war.

Ein letzter Gedanke: in unserem Prophetenwort heißt es, dass Gott nun das Zerstreute wieder zusammenführen will. Er möchte, das Verlorene suchen und finden und das Verwundete verbinden. Es sind die gleichen Formulierungen, mit denen Jesus später seinen Auftrag beschreiben wird. Aber in den Evangelien wird Christus eben nicht nur als Hirte beschrieben, sondern gleichzeitig auch als Lamm. Sein Hirtenamt übt er aus, indem er sich in die Herde einreiht. Er wird Lamm, um aus Lämmern und Schafen Hirtinnen und Hirten zu machen. Damit gibt er den Maßstab vor, wie ein von Gott gewolltes Hirtenamt zu führen ist. Jesus lebte uns die richtige Hirten-Haltung vor. Es geht nicht darum, die eigenen Schäfchen ins Trockene zu bringen, sondern alle. Auch diese wichtige Erkenntnis entdecke ich in Pfr. Laubmeiers historischer Predigt. Er denkt nicht nur an die eigene Errettung aus Kriegsnot, sondern gedenkt der Vielen, die solches Glück nicht erlebten. In sein Gebet schließt er die Vermissten und die große Zahl der Flüchtlinge ein. Er erkennt, dass die Schierlinger trotz ihres frommen Gelübdes nicht besser sind als andere. Kurz und gut: die Dankbarkeit der eigenen Errettung öffnet ihm die Augen für die Leiden der Mitmenschen.

Die Fähigkeit und der Willen, das Schwache wahrzunehmen und sich berühren zu lassen von den Nöten der anderen, das macht ihn zum Hirten.

Indem er sich solidarisch erklärt mit allen, denen der Krieg alles oder vieles genommen hat, dadurch reiht er sich in die Herde ein derer, die nichts in Händen halten als allein ihre Hoffnung und ihr Vertrauen.

Pfr. Laubmeier merkt: Gott versteckt sich im Schicksal der Geschlagenen. Er ist bei uns in allen Gestalten des Elends. Wenn wir uns heute erinnern und das Gelübde der Väter und Mütter unseres Marktes erfüllen, dann wollen wir daraus auch lernen für unsere Gegenwart. Amen.

 
Fotos: Fritz Wallner